Guter Rad

Als Rentner mit dem Fahrrad durch Europa

Kaum in Rente, nahm der heute über 80-jährige Karl Rzepka, den Fahrradlenker in die Hand und pedalierte quer durch Europa. Noch heute schwärmt er von dieser Zeit und rät allen, die in einer ähnlichen Situation sind, es ihm gleich zu tun. 


TEXT: Michael Neumann

FOTOS: Karl Rzepka

Tut Ihnen vom vielen Radfahren nicht der Hintern weh?

So geht es im Leben. Man lernt sich kennen, fährt regelmäßig gemeinsam Rad und passt sich dabei an. dann beginnt, wenn man nicht übertreibt, eine jahrelange schmerzfreie Freundschaft – zwischen dem Hintern und dem Sattel.

Woher nehmen Sie die Inspiration für ihre Routen?

Ich habe schon immer gern in Büchern und Zeitschriften wie dem Kundenmagazin des ADFC über Radtouren in aller Welt gelesen. Aber mein Traum, der mich schon viele Jahre begleitete, hatte schon immer ein klares Ziel: »Mit dem Fahrrad Europa erkunden«. Dann war es endlich soweit. Mein aktives Berufsleben war beendet, weniger Verpflichtungen und viel mehr Zeit. Die grobe Route war schnell geplant und die Ausrüstung für alle Wetterbedingungen schnell besorgt. Mit 63 Jahren und einer normalen Radlerkondition konnte es dann losgehen. 

Wohin führte Sie die erste Tour?

Das erste Projekt war es, Europa von Nord nach Süd zu durchfahren. Vom Nordkap bis nach Sizilien. Natürlich in Etappen, über mehrere Jahre verteilt. Die zweite Reise führte mich dann von Europas Nordosten in Helsinki bis in den Südwesten nach Portugal. 20 Etappen, verteilt über 12 Jahre. Inzwischen bin ich 75 und habe 20.000 Kilometer in Europa erradelt.

Warum Europa und warum mit dem Rad?

Beim langsamen Reisen mit dem Fahrrad nimmt man die vielen Eindrücke wirklich mit allen Sinnen wahr. Und an Eindrücken mangelt es auf unserem Heimat-Kontinent nicht. Ich kann beispielsweise tausende Kilometer an den Küsten entlang fahren, die unterschiedlicher und beeindruckender nicht sein könnten. Diese Begeisterung will ich gern weitergeben. 

Zelt oder Hotel?

Ich war noch nie ein »Zelt’ler«. Ich habe immer in Hotels, Pensionen oder Privatunterkünften übernachtet. Dabei habe ich das breite Spektrum von Europas Betten und Unterkünften kennengelernt. Im dünn besiedelten Norden etwa sind Blockhütten auf Campingplätzen die erste Wahl, an besonderen Orten oder zu besonderen Anlässen habe ich mir dann auch mal ein gutes Hotel geleistet. Für alle Fälle hatte ich aber immer auch Schlafsack und Kocher als Reserve dabei.

Natürlich ist man mit einem Zelt unabhängiger und mit dem heute verfügbaren Light-Equipment ist es auch für Soloradler eine sehr gute Alternative.

Was waren die schönsten Momente auf ihren Radreisen?

Der Start zu jeder Etappe. Die Fahrradtaschen gepackt und dann per Zug oder Fähre unterwegs zum Startpunkt. Und dann für einige Wochen nur noch Radfahren – schauen, unterwegs sein, wunderbar! Wenn ich aber eine Etappe herauspicken müsste, wäre es die von Stockholm nach Helsinki. Start mit der Fähre durch die Schären, dann weiter per Rad über die Aland-Inseln und entlang der finnischen Küste. Viel Meer, viel Natur und noch dazu bin ich diese Etappe mit meinem Sohn gefahren – er damals 36, ich 72. 

Und was war der gefährlichste?

In vielen Teilen Europas gibt es wenig oder keine ausgewiesenen Radwege. Man bewegt sich im öffentlichen Straßenverkehr, was aber kein großes Problem ist, da man fast immer auf ruhigere Nebenstraßen ausweichen kann. Ich habe jedenfalls auf der Straße und auch sonst keine dramatisch gefährlichen Momente erlebt.

Schon mal über ein eBike nachgedacht?

Die ganzen Europa-Touren bin ich mit einem stabilen Tourenrad mit 14-Gang-Nabe gefahren. Aber zu meinem 80. Geburtstag habe ich mir selbst ein eBike geschenkt. Kompakt, 20 Zoll, leicht, klappbar – ideal für alles im Alltag und mit kleinem Anhänger auch für den Transport von Gartenabfällen.

Ist man nicht irgendwann zu alt zum Radfahren?

Im Laufe der Jahre, wenn das Gehen und Tragen immer beschwerlicher wird, ist das Fahrrad eine große Hilfe. Man bleibt damit einfach im Alltag viel länger mobil. Oder wie Albert Einstein schon sagte: »Das Leben ist wie ein Fahrrad, man muss sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren!«

Welches Ziel steht als nächstes auf der Tourenliste?

Ich bin mit dem Rad viel im Alltag und auf meinem Lieblingsweg, dem »Main-Radweg«, unterwegs. Aber für mein nächstes Leben habe ich schon ein Ziel: Europa von Nordwest nach Südost, von Schottland nach Griechenland, von den Orkney-Inseln nach Athen.

Und zum Abschluss bitte noch ein paar Tipps für Ü60-Radler, die es Ihnen nachmachen wollen.

Senioren-Radler verfügen über eines, was viele nicht haben: beneidenswert viel Zeit. Damit kann man wirklich große Entdecker-Reisen kreuz und quer durch Europa planen. Viele können oder wollen zwar nicht ohne Unterbrechung monatelang unterwegs sein, doch warum das Ganze nicht in Etappen abfahren? Die Anreise zum Etappenstart und zurück nach Hause kann immer mit öffentlichen Verkehrsmitteln erfolgen. Das funktioniert mittlerweile bis in die entlegensten Gebiete. Egal ob Süditalien, Portugal, die Bretagne oder die skandinavischen Länder, alles ist mit Bus, Bahn und Fähre zu erreichen. Und die Geduld und Zeit dafür hat man ja als Rentner. 

Bei der Radtour unbedingt freie Tage einplanen. Zum Ausruhen, aber auch zum Besichtigen und Genießen. Gleiches gilt für An- und Abreise. Ruhig Zwischenstopps in Regionen einlegen, die nicht entlang der späteren Radroute liegen. Ich habe mich bei meinen Routen meist an den von der European Cyclists’ Federation orientiert. Die haben in Zusammenarbeit mit den einzelnen Ländern Fahrradtouren durch ganz Europa ausgearbeitet. Die zwölf Routen Eurovelo 1 bis Eurovelo 12 haben zusammen rund 65.000 Kilometer Streckenlänge. Zwar haben noch nicht alle eine durchgehende Ausschilderung (so wie die North Sea Cycle Route), aber in jedem Fall ist das schonmal ein guter Startpunkt für eigene Planungen. Radfreunde, die Auswahl ist riesig, Europa ruft!

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