How to:
European Divide Trail

Interview mit Leona Kringe

Die längste Bikepacking-Route der Welt liegt vor unserer Haustür: der European Divide Trail. Leona hat als dritte Person überhaupt die 7600 Kilometer zwischen Portugal und Norwegen bewältigt. Hier erzählt sie, was das ideale Rad dafür ist, was reiner Luxus im Gepäck war und was sie auf dem deutschen Teilstück schwierig fand.

Leona Kringe

hat als erste Deutsche, und als dritte Person überhaupt, den kompletten European Divide Trail von Portugal nach Norwegen befahren. Weil für die Tierärztin, Coachin und Yogalehrerin das Leben im Spannungsfeld zwischen Losziehen und Heimkommen besonders intensiv ist, heißt ihr Blog auch »Heimatnomadin«.

Leona, was ist der European Divide Trail?

Der European Divide Trail ist die längste offizielle Bikepacking-Route der Welt. Er verläuft auf fast 7600 Kilometern vom südwestlichsten Punkt Europas bis an den nordöstlichsten Punkt. Er startet in Portugal am Cabo de São Vicente und durchquert dann Spanien, Frankreich, Deutschland, Dänemark, Schweden und Norwegen bis Grense Jakobselv. Fast 70 Prozent sind offroad. Der Track ist frei verfügbar auf Komoot und jede:r kann ihn nachfahren, wann oder wie man möchte – egal ob in Etappen oder am Stück. Die Strecke wird immer wieder aktualisiert von den Leuten, die ihn fahren.

Du bist die dritte Person, die den Trail am Stück bewältigt hat, wie kam es dazu?

Der Brite Andy Cox hat den Trail entwickelt und 2019 erstbefahren. Ich bin ihm bei Instagram gefolgt, als er die Route zusammengestellt hat, und fand seine Beiträge immer super interessant. Als ich die Möglichkeit hatte, mir drei Monate frei zu nehmen, musste ich den Trail einfach auch selbst fahren. Letzten Endes liegt der ja fast vor der Haustür. Es gab zu dem Zeitpunkt noch kaum Erfahrungswerte, das hat mich besonders gereizt. Der Trail war noch wie ein weißes Blatt Papier.

Warum bist du von Süden nach Norden gefahren?

Das lag an der Jahreszeit. Ich hatte Mai, Juni, Juli frei. Damit war klar: Ich kann nur in Portugal starten, weil im hohen Norden noch alles voll mit Schnee sein wird.

Würdest du die Fahrtrichtung auch so empfehlen?

Das ist eine sehr individuelle Frage. Wer im Norden startet, kann sich in flacherem Gelände einrollen, hat dafür aber die mentale Hürde, dass es über 2000 Kilometer fast gleich aussieht. Von Süden beginnst du gleich mit ordentlich Höhenmetern, dafür ist die Landschaft sehr abwechslungsreich.

Wie hat dir die Wegführung gefallen?

Am Anfang in Portugal und in Spanien bin ich ein paar Mal auf Privatgrundstücken gelandet. Oder mir haben Zäune den Weg versperrt, weil die Wege über Weiden führten. Zu der Zeit, als Andy Cox gefahren ist, waren die halt offen. Das kann immer mal passieren, deshalb wird der Track stetig aktualisiert. Für die große Distanz ist die Strecke aber super gescoutet. In Deutschland geht es auch mal durch Städte. Da war ich fasziniert, wie man da geführt wird. In Hamburg geht es zum Beispiel durch Stadtparks, fernab vom Verkehr. Und auf einmal stehst du doch auf der Reeperbahn.

Wenn wir schon bei Deutschland sind, wie war das Erlebnis hier im Vergleich zu den anderen Ländern?

In Portugal, Spanien und Frankreich geht es oft einsam durch wilde Landschaften. In Deutschland ist es weniger einsam. Permanent kommt ein Ort. Überall hast du Supermärkte und auch mehr Asphalt, dadurch kommt man schneller voran. Die Strecke ist schön, aber ein starker Kontrast zu dem, was man vorher hatte. Auch die Mentalität ist anders. Die Franzosen waren enthusiastischer und haben mich viel häufiger angesprochen. Sie waren begeistert, dass ich draußen schlafe. In Deutschland habe ich mich eher mal fehl am Platz gefühlt und Übernachtungsplätze zu finden, war schwieriger.

Bist du alles am Stück gefahren?

Ich habe nur sehr wenig Ruhetage gemacht. Mal einen in Frankreich. Mal zwei, als ich in der Nähe meiner Heimat war und mein Fahrrad beim Service war. Und dann noch mal ein paar Tage in Schweden, weil ich eine Insektenallergie habe und mit den Mücken etwas Probleme bekam. Aber generell bin ich jeden Tag gefahren. Oft von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Kurz am Supermarkt halten, essen und weiter. Zwei Monate lang, im Schnitt 100 bis 200 Kilometer am Tag. Ich habe wenig geplant, bin einfach jeden Tag los und habe geschaut, wie weit ich komme.

Was waren die Herausforderungen?

Natürlich ist es körperlich anstrengend, aber man gewöhnt sich auch an die Belastung. Im Süden hatte ich viele Platten, weil dort viele Dornensträucher am Weg wachsen. Dort ist es auch hügeliger, aber das mag ich. Je nördlicher man kommt, desto flacher wird es. Und je flacher die Strecke wurde, desto mehr wurde es für mich eine mentale Herausforderung. In Schweden bleibt die Landschaft einfach mal über 2000 Kilometer sehr ähnlich.

Was für ein Rad ist ideal?

Es muss nicht unbedingt ein Gravel- oder Mountainbike sein, auch wenn es aufgrund so manch technischer Abschnitte natürlich die beste Variante wäre. Einfach ein stabiles Rad, auf dem man lange sitzen kann und mit dem man sich wohl fühlt. Du solltest es so gut wie möglich selbst reparieren können. Im Norden ist der nächste Fahrradladen schon mal 1000 Kilometer weit weg. Der Trail führt auch durch anspruchsvolles Gelände, das fordert das Material. Ich war froh um meinen stabilen Stahlrahmen. Besonders auf den Abschnitten im Süden war ich happy, dass ich dazu breite MTB-Reifen hatte. Den zusätzlichen Komfort merkst du am Nacken, an den Handgelenken und beim Sitzen.

Was würdest du beim nächsten Mal anders machen?

Vielleicht würde ich etwas mehr die Momente des Innehaltens genießen. Ich war zu der Zeit generell sehr rastlos und habe dieses konstante »Immer-Weiterfahren« auch gebraucht. Heute würde ich häufiger anhalten, mal in einen See springen und diese Momente auch bewusster wahrnehmen.

Trifft man unterwegs andere Radler, die auch den European Divide Trail fahren?

Ich habe im Süden niemand getroffen, weil ich da ja wirklich mit die Erste war. Aber im Norden sind mir ein paar entgegengekommen. Meist kannte man sich schon über Instagram oder andere Plattformen und wusste, dass man sich bald begegnen wird.

Worauf hast du bei der Ausrüstung geachtet?

Weil man viele Höhenmeter strampeln muss, ist leichtes Gepäck von Vorteil. Ich habe mich auf ein Minimum beschränkt. Aber ganz muss man nicht auf Komfort verzichten. Ich hatte zum Beispiel eine relativ große Hängematte von Ticket to the Moon dabei. Dafür habe ich kein Zelt mitgenommen, nur ein Tarp und eine kurze Isomatte – es gibt ja nicht überall was zum Aufhängen der Hängematte. Am Ende war mein Kocher reiner Luxus, weil ich den nur zwei bis drei Mal benutzt habe. Es war einfach immer sehr warm. Ich habe vor allem kalt gegessen und getrunken.

Was waren die schönsten Abschnitte?

Die Berge und die wilde Landschaft im Süden haben mir besonders gefallen. Die Montañas Vacías (die leeren Berge) werden auch Spanisch-Lappland genannt. Eine raue Region mit schönen Hochebenen, bis zu 2000 Meter über dem Meeresspiegel. Aber auch der Moment, als ich über den Polarkreis gefahren bin, war toll. Dort ging die Sonne nicht mehr unter und schien mir nachts in der Hängematte ins Gesicht. Dazu die ganzen Rentiere auf der Straße. Insgesamt hat mich die Vielfalt der tollen Landschaften in Europa fasziniert.

Wem würdest du den Trail empfehlen?

Allen, die Lust haben, eine lange Radreise abseits der klassischen Fernradwege zu machen und die abwechslungsreichen Landschaften Europas zu entdecken. Wer nicht so lange Zeit hat, kann sich die Strecke auch gut aufteilen.

Du bist durch viele unterschiedliche Länder gefahren. Gibt es etwas, was alle entlang der Strecke vereint hat?

Erst auf der letzten Etappe in Norwegen, nach fast 7600 Kilometern, bin ich wieder auf eine abgeriegelte Grenze gestoßen – an die zu Russland. Ein sehr beklemmendes Gefühl. Spätestens hier wird einem bewusst, wie wertvoll die Freiheit ist, die wir in Europa haben und dass diese Grenzenlosigkeit absolut keine Selbstverständlichkeit ist.

European Divide Trail

Der Trail gilt als längste, überwiegend offroad verlaufende Bikepackingroute der Welt und erkundet Europa meist abseits beliebter Touristenziele. Bei der Planung wurde beachtet, dass die technischen Schwierigkeiten nicht zu groß sind, damit die 7600-Kilometer-Gesamtstrecke auch in einer Saison (europäischer Sommer) zu bewältigen ist. Außerdem wurde eine gute Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln berücksichtigt. Anders als der »Continental Divide Trail« in den USA folgt der European Divide Trail keiner kontinentalen Wasserscheide.


INTERVIEW: Julian Rohn

FOTOS: Leona Kringe

Inhaltsverzeichnis
Inhalts-
verzeichnis