Bikepacking: Einfach mal machen!

Knapp 40 Kilometer hat Sara Hallbauer letztes Jahr im Schnitt jeden(!) Tag auf dem Fahrrad zurückgelegt – einen Großteil davon mit Gepäck. Hier erklärt sie, weshalb sie so fürs Bikepacking brennt, was die Unterschiede zu einer klassischen Radreise sind und warum sich Anfänger nicht so viele Gedanken machen sollten …

Sara, woher kommt deine Leidenschaft fürs Bikepacking?

Bei meinen Touren habe ich nur eine Aufgabe: von A nach B kommen. Diese Einfachheit fasziniert mich. Ich sitze auf meinem Rad, folge einer Linie auf der Karte und blende alles andere aus. In meinem Job im Marketing muss ich viele Bälle jonglieren, erreichbar sein und komplexe Aufgaben erledigen. Beim Bikepacking genieße ich die Natur und konzentriere mich sonst nur auf das Wesentliche: Wo muss ich lang? Wann kommt der nächste Supermarkt? Wo kann ich heute Nacht schlafen?

Wann warst du das erste Mal mit Gepäck am Rad unterwegs?

Ich bin immer schon gerne Fahrrad gefahren, am liebsten auf dem Rennrad. Mein Mann Axel fährt lieber Mountainbike. Bikepacking war für uns der perfekte Kompromiss. Für 2020 hatten wir ein Sabbatical geplant und wollten im Mai die Great Divide Mountain Bike Route fahren, das ist eine der längsten Gravelrouten weltweit. Sie führt 4500 Kilometer entlang der kontinentalen Wasserscheide von Kanada quer durch die USA an die mexikanische Grenze. Ein Jahr lang hatten wir alles geplant, die gesamte Ausrüstung besorgt, Flüge gebucht und fleißig trainiert – dann hat uns Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Was habt ihr stattdessen gemacht?

Eine Auslandsreise war plötzlich keine Option mehr. Also musste eine Tour in Deutschland her. Wir sind dann in 14 Tagen von Rheinfelden in der Nähe von Basel einmal quer durch Deutschland bis ans Kap Arkona auf Rügen gefahren – insgesamt 1600 Kilometer und 20 000 Höhenmeter. 

Das war dann euer erster Bikepacking-Trip. Wie war’s?

Wir haben eine Weile gebraucht, bis wir uns an die schwer bepackten Räder gewöhnt hatten. Circa 70 Prozent der Strecke verlaufen abseits befestigter Wege – das war technisch und konditionell eine echte Herausforderung. Es war aber total spannend zu sehen, wie abwechslungsreich Deutschland landschaftlich ist: Gebirge, endlose Wälder, ausgedehnte sandige Gebiete, die Küste – für ein Abenteuer direkt vor der Haustür ist alles geboten. Und: Wir waren echt überrascht, wie wild und einsam einige Regionen sind.

 

Bikepacking in Süddeutschland

Sara Hallbauer (42)

Egal ob Genusstour im Alpenvorland (oben) oder Ultrarennen bis zum Nordkap (unten) – Sara verbringt ihre Freizeit am liebsten auf einem ihrer drei Fahrräder. Auf ihrem Blog teilt die Marketingexpertin Infos rund um das Thema Bikepacking und berichtet von ihren zahllosen Touren. www.bikepackers.de


Hallbauer angekommen am Nordkap

Du hast seitdem an mehreren ziemlich anspruchsvollen Rennen teilgenommen …

Ja, das Bikepacking-Fieber hat mich nach der Trans Germany total gepackt. Neben diversen »kleineren« Events habe ich ein Jahr später am Northcape 4000 teilgenommen. Da geht es vom Gardasee bis ans Nordkap, 4500 Kilometer und 30 000 Höhenmeter in 17 Tagen. Das Ergebnis: meine längste Tour bisher und Platz zwei der Frauen. 2022 bin ich dann beim Race Across France (RAF), 2600 Kilometer und 37 000 Höhenmeter, an den Start gegangen. Das Rennen führt in maximal zehn Tagen einmal quer durch Frankreich, von der Atlantikküste im Norden über die Alpen bis ans Mittelmeer nach Mandelieu-la-Napoule. Beim RAF habe ich als einzige Frau in der Kategorie »Un­supported« das Ziel erreicht. 

Was sind das für Events?

Bei beiden Rennen war ich ohne Unterstützung unterwegs. Das bedeutet: Es gibt einen Start, ein Ziel, ein Zeitlimit und ein paar wenige Checkpoints unterwegs. Man hat sein Gepäck am Fahrrad. Übernachtungen und Verpflegung muss man selbst organi­sieren, keine Begleitfahrzeuge oder Verpflegungs­stationen. Bei Pannen muss sich jeder selbst helfen.

Was war dein schönstes Erlebnis bei deinen Touren bislang?

Mich hat vor allem die Hilfsbereitschaft der Menschen berührt. Beim Northcape 4000 hatte ich circa 500 Kilometer vor dem Ziel einen defekten Mantel. Da oben gibt es keine Fahrrad­geschäfte. Ich war total verzweifelt und dachte, ich werde das Ziel nicht erreichen. Dann habe ich einen fremden Motorradfahrer getroffen, der mir helfen wollte und losgezogen ist, um einen neuen Mantel aufzutreiben. Er hat es dann tatsächlich geschafft, einem anderen Rennteilnehmer seinen Ersatzmantel abzukaufen und ihn anderen Motorradfahrern mitzugeben, die ihn mir vorbeigebracht haben.

Gab es auch unschöne Erfahrungen?

Natürlich, das gehört zu solchen Rennen dazu – irgendwann wird es mental wirklich brutal. Eine im Nachhinein lustige Anekdote ist mir bei einem Rennen von Paris nach Freiburg passiert: Ich war nachts entlang eines Kanals unterwegs. Plötzlich kreuzte eine Horde Bisamratten den Weg. Ich bin beim Ausweichen samt Rad kopfüber in den Kanal geflogen. Mir ist zum Glück nichts passiert. Ich konnte das Rennen klitschnass fortsetzen und innerhalb des Zeitlimits das Ziel erreichen …

Das Race Across France
Das Race Across France führt über einige der höchsten Alpenpässe: Den Col du Galibier (oben) musste Sara im strömenden Regen und bei eisiger Kälte erklimmen. Die lange Auffahrt zum Col de l’Iseran (unten) fuhr sie nachts und stand pünktlich zum Sonnenaufgang am höchsten Punkt.

Was unterscheidet denn überhaupt Bikepacking von einer klassischen Radreise?

Die Übergänge sind natürlich fließend, aber den offensichtlichsten Unterschied machen sicher die Packtaschen: Bei einer klassischen Radreise sind die meisten Leute mit großen, seitlich an einem Gepäckträger montierten Taschen unterwegs – so kommt man schnell auf ein Gepäckvolumen von über 60 Litern. Beim Bikepacking werden die deutlich kleineren Taschen dagegen direkt ans Rad montiert und so positioniert, dass sie möglichst nicht im Wind stehen. Unter den Sattel kommt die sogenannte Arschrakete, in das Rahmendreieck kommt eine schmale Tasche und vorne ans Cockpit eine Lenkerrolle – so bewegt man sich eher im Bereich von unter 30 Liter Gepäckvolumen. Beim Bikepacking versucht man, möglichst leicht unterwegs zu sein, und nimmt bewusst in Kauf, nur das Nötigste mitnehmen zu können. 

Wie viel wiegt dein Gepäck bei deinen Touren?

Das hängt von der Tour ab, aber mehr als sechs bis sieben Kilogramm inklusive Zelt, Isomatte und Schlafsack habe ich so gut wie nie dabei. Meine Ausrüstung ist aber inzwischen auch sehr optimiert und perfekt auf meine Bedürfnisse abgestimmt. Bei den ersten Touren nehmen Neulinge oft viel zu viel mit. Man sammelt aber mit jeder Tour neue Erfahrungen und kann sich so im Laufe der Zeit das perfekte Setup zusammenstellen. 

»Beim Bikepacking ­
nimmt man bewusst in Kauf, nur das Nötigste mitnehmen zu können.«

Wie und wo übernachtest du?

Bei den Rennen schlafe ich fast immer in Hotels oder Pensionen, die ich mir spontan unterwegs raussuche – da ist guter Schlaf für mich total wichtig, um am nächsten Tag wieder volle Leistung bringen zu können. Bei gemütlicheren Touren habe ich oft Zelt, Isomatte und Schlafsack dabei, um möglichst flexibel zu sein und auch mal auf einem schönen Campingplatz übernachten zu können. Axel und ich nehmen uns aber gerne auch mal ein Zimmer – er ist beruflich sehr viel unterwegs und wir genießen es dann total, abends frisch geduscht etwas Leckeres essen zu gehen.

Übernachtung im Zelt auf einer Bikepacking Tour
Wer nett fragt, darf auch mal auf der Wiese von einem Bauern sein Zelt aufschlagen – so wie hier beim Trans Germany irgendwo an der Grenze zu Polen.

Bist du lieber alleine oder mit Begleitung unterwegs?

Ich liebe beides! Wenn ich alleine unterwegs bin, lerne ich fast automatisch Leute am Wegesrand kennen und ich mag das Gefühl, auf mich alleine gestellt zu sein. Ich höre dann Musik – oft das gleiche Lied in Dauerschleife –, schalte komplett ab und komme in eine Art Flow. Andersrum ist es natürlich auch toll, zu zweit oder in einer Gruppe unterwegs zu sein und die Erlebnisse zu teilen. 

Wie geht man beim Bikepacking am besten mit Leistungsunterschieden innerhalb einer Gruppe um?

Ich halte es grundsätzlich für keine gute Idee, sich immer mit anderen zu vergleichen. Klar, beim Radfahren ist die Ver­suchung groß – Durchschnittsgeschwindigkeit, Trittfrequenz, Wattzahl, kaum eine Sportart ist so genau messbar. Aber bei einer Bikepacking-Genusstour geht es doch nicht um Leistung, sondern um das Erlebnis und um das Unterwegssein. Wer sich messen will, soll bei einem Rennen mitfahren. Bei gemütlicheren Touren habe ich die Erfahrung gemacht, dass man sich ja bewusst dafür entschieden hat, zusammen loszufahren. Entsprechend macht es dann den Schnelleren gar nichts aus, ein bisschen Rücksicht zu nehmen. Und zur Not kann man auch das Gepäck umverteilen oder sich zwischendurch im Windschatten erholen – das kann bis zu 30 Prozent Kraft sparen.

Hast du selbst schon solche Erfahrungen gemacht?

Ja, am Anfang habe ich, wenn ich mit Schnelleren unterwegs war, mehrmals »vergessen« etwas zu essen, weil ich die Gruppe nicht aufhalten wollte. Dann kam irgendwann der Hungerast und die Akkus waren komplett leer. Das Lustige ist: Wenn ich heute eine kurze Verpflegungspause vorschlage, sind die Leute total dankbar und fahren direkt rechts ran.

Beim Northcape 4000 bist du im Schnitt rund 270 Kilometer pro Tag gefahren, beim RAF 555 Kilometer in etwas mehr als einem Tag. Warst du immer schon so sportlich?

Nein, ich war zwar immer schon gerne aktiv, aber ich habe nie Leistungssport gemacht. Bevor ich mich so stark auf das Radfahren fokussiert habe, war Reiten mein Haupthobby. Meine Fitness habe ich mir in den letzten drei bis vier Jahren aufgebaut. Das Schöne beim Radfahren ist, dass sich gerade am Anfang ziemlich schnell und quasi automatisch ein Trainingseffekt einstellt.

Wie viele Kilometer und Höhenmeter pro Tag sind für einen sportlichen Anfänger beim Bikepacking realistisch?

Das hängt von sehr vielen Faktoren ab: Fitness, Untergrund, Gewicht des Gepäcks und natürlich von den individuellen Vorstellungen: Will ich möglichst viel Strecke machen und mich anstrengen müssen? Oder möchte ich gemütlich unterwegs sein und die Umgebung genießen? Als grobe Hausnummer sind wahrscheinlich 100 Kilometer und 600 Höhenmeter für die meisten sportlichen Anfänger realistisch – aber am Ende muss man das selbst herausfinden. Ich würde jedenfalls immer empfehlen, lieber mit kürzeren Etappen anzufangen und sich dann langsam zu steigern.

»Ich habe nie Leistungssport gemacht. Meine Fitness habe ich mir in den letzten drei bis vier Jahren aufgebaut.«

Bikepacking Tour über die Seealpen
Bikepacking Pause in Nizza
Eine der schönsten Bikepackingrouten Europas: Mit einer Mädelsgruppe fuhr Sara über die See­alpen von Turin nach Nizza.

Muss ich als Einsteiger mein Rad selbst reparieren können?

Technische Probleme und Pannen können beim Radfahren immer vorkommen. Das sollte einen aber nicht davon abhalten, einfach mal loszufahren. Ich habe am Anfang zwei Kurse in der Fahrradwerkstatt gemacht, wo mir die Basics – Platten flicken, Schaltung einstellen, Kette reparieren – gezeigt wurden. Das gibt Selbstvertrauen. Die wichtigsten Reparaturen für unterwegs sind übrigens viel leichter, als man glaubt. Und wenn ich ein Problem mal nicht selbst lösen kann, lasse ich mir helfen oder suche nach einem Fahrradladen in der Nähe.

Gibt es das perfekte Bikepacking-Fahrrad?

Das kann man so nicht sagen. Klar, mit einem Hollandrad über die Alpen zu fahren, ist keine gute Idee. Aber um erste Erfahrungen zu sammeln, reicht auch ein altes Mountainbike. Man findet dann schon ziemlich schnell heraus, was für ein Rad am besten zu den eigenen Bedürfnissen passt. In den letzten Jahren sind Gravelbikes immer beliebter geworden – die decken ein ziemlich breites Einsatzgebiet ab und bieten sich deshalb fürs Bikepacking an.

Was ist denn überhaupt ein Gravelbike?

Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Rennrad und Mountainbike, also um einen Kompromiss zwischen Geschwindigkeit und Geländetauglichkeit. Man sitzt etwas komfortabler – also aufrechter – als auf einem Rennrad, hat aber trotzdem den Rennradlenker, wodurch man die Position der Hände variieren und auch mal »eins tiefer« greifen kann, wenn man Tempo machen möchte. Die Reifen sind meistens deutlich breiter als beim Rennrad und haben Profil – dadurch kann man mit einem Gravelbike gut abseits asphaltierter Wege fahren.  

Bike flicken und Pause während Bikepacking Tour
Oben: Pannen sind für Sara heute kein Problem mehr – Übung macht die Meisterin. Unten: Typisch Bikepacking – Verpflegungsstopp vorm Supermarkt.

Wie kommt man nach der Tour zurück nach Hause?

Am naheliegendsten ist natürlich per Zug – aber gerade im Fernverkehr ist das oft gar nicht so leicht: In den ICEs gibt es nur wenige Fahrradplätze und die sind oft lange im Voraus ausgebucht. Fahrradtickets für ausländische Bahnunternehmen lassen sich oft nur direkt über deren Apps buchen. Sprich: Die Rück­reise per Zug will gut geplant sein. Mein Tipp: Flixbus. Man ist zwar länger unterwegs, dafür gibt es ein dichtes Streckennetz in ganz Europa und die Fahrradmitnahme ist total unkompliziert.

Du schreibst in deinem Blog, dass du »mehr Mädels von der besten Art, sich fortzubewegen, begeistern willst«. Sind Frauen im Bikepacking unterrepräsentiert?

Ja, zumindest bei den Rennen sind fast immer deutlich weniger Frauen als Männer am Start. Ich glaube, viele Frauen denken, dass sie nicht fit genug sind oder dass sie erst mal mühsam die ganze Ausrüstung zusammentragen müssen, bevor sie zur ersten Tour aufbrechen können. Meine eigenen Erfahrungen haben mir gezeigt, dass das nicht stimmt. Jede – und natürlich auch jeder – kann Bikepacking. Es gibt dabei kein Richtig oder Falsch, auch wenn einem das die vielen selbst ernannten Internet-­Experten weismachen wollen. Wenn ich auf diese ­­
Leute ­gehört hätte, hätte ich nie angefangen. Mein Appell: Schnapp dir dein Fahrrad, pack das Nötigste ein und mach dich einfach auf den Weg, frei nach dem Motto »Raus aus dem Wind­schatten, rein ins Abenteuer!«. 

»Mein Appell: ­Schnapp dir dein Fahrrad, pack das Nötigste ein und mach dich einfach auf den Weg.«

 


Das nehm ich mit:

Alles für deine nächste Bikepacking-Tour