Der Freeride-Dream – eine Reise durch eine magische Winterwelt
Für euch – von euch. Ein Abenteuerbericht aus der Globetrotter-Community – von Felicitas Weber.
Wir stehen im Krater eines Vulkans, mitten im Winter, am anderen Ende der Welt. Neben uns ein paar Birken, unter uns feinster Pulverschnee und hier und da schallen Jubelschreie zu uns herab, von anderen Skibegeisterten wie uns. Wir können es immer noch nicht fassen, dass wir hier sind, in diesem Land der Entdeckungen und Begegnungen. Und auf einer Reise, die für uns nicht hätte faszinierender und erlebnisreicher sein können.
Aber von Anfang an – Japan – das Land der aufgehenden Sonne und das Sehnsuchtsziel von meinem Freund. Seitdem er mit 14 den Skifilm „Believe“ der Skilegende Tanner Hall gesehen hatte, träumte er von Abfahrten im tiefen, unberührten Japow – dem weltweit bekannten, leichten, fluffigen und vor allem extrem vielen Schneefall in Japan. Dieser entsteht aufgrund der kalten sibirischen Luftmassen, welche sich über dem Ostchinesischen Meer mit Feuchtigkeit vollsaugen und sich beim Auftreffen an den japanischen Gebirgszügen mit dem weißen Gold entladen. Und das ziemlich häufig im Winter. Durchschnittlich fallen auf Honshu bis zu 14 m Schnee, auf Hokkaido sogar bis zu 16m.
Nachdem die Grenzen Japans während der Corona-Krise, und sogar noch bis letzten Winter, für Ausländer verschlossen blieben, war die Reise lange nur eine Idee, die auf ihre Realisierung wartete. Im Winter 2024 war es nun endlich soweit. Es sollte für vier Wochen in die Ferne gehen. Wir freuten uns unendlich darauf, ein neues, für uns unbekanntes Land zu entdecken und in die Kultur einzutauchen. Das alles mit unseren Skiern und einer Menge Abenteuerlust im Gepäck.
Chisenpuri auf Hokkaido, Japan
Von Tokio aus ging es für uns zunächst in Richtung Westen, in das beschauliche Örtchen Nozawa Onsen und anschließend nach Myoko und Hakuba. Unbeabsichtigt hatten wir uns mit dem ersten Stopp die Wiege des Skifahrens in Japan ausgesucht. Uns begrüßten Häuser im alpenländischen Baustil und mit dementsprechenden Namen wie Gasthof Schi Heil, Haus St. Anton oder Lodge Hahnenkamm, die neben traditionell japanischen Häusern eingereiht waren. Ein Vorarlberger hatte die Tiroler Skitechnik vor mehr als 100 Jahren dort eingeführt und die Einheimischen nachhaltig inspiriert. Nozawa Onsen ist sogar noch heute Partnergemeinde von St. Anton am Arlberg.
Wildes Schneetreiben bei unserer ersten Ski-Destination.
Nicht weniger faszinierend als von der Geschichte des Skifahrens in Japan zu erfahren, fanden wir allerdings die mehr als 13 Onsen (Anmerkung: heiße Heilquellen), welche frei zugänglich sind. Da das Baden in den Onsen dort regelrecht zum Alltag dazu gehört und manche Familien nicht mal eine Dusche zu Hause haben, trifft sich dort gut und gerne die halbe Dorfgemeinde zur Körperpflege. Die Einrichtung der Bäder ist sehr pragmatisch und besteht oft lediglich aus einem Becken, in welches heißes Wasser aus einer Quelle eingeleitet wird. Und mit heiß meinen wir wirklich heiß. Dadurch, dass die Räume mit den Becken üblicherweise nicht beheizt werden, glich der erste Eindruck beim Betreten, dem einer Dampfkammer. Also schnell Schuhe und Kleidung ausziehen, eine Art Eimer schnappen, damit heißes Wasser aus dem Becken schöpfen und sich in einer Ecke des Raums erstmal gründlich einseifen und reinigen, um dann nackig am Beckenrand hockend festzustellen, dass einem das Wasser im Becken viel zu heiß ist.
Ich konnte beim ersten Versuch nicht ansatzweise in das Becken steigen, ohne das Gefühl zu haben mir direkt die Füße zu verbrühen. Netterweise haben mir ein paar Frauen schmunzelnd und kichernd zugesehen und mir dann gezeigt, dass es noch einen zusätzlichen Hahn gibt, aus dem kaltes Wasser in das Becken geleitet werden kann. Langsam war das kalte Wasser auf meiner Seite des Beckens soweit mit dem heißen Wasser vermischt, dass ich mich hineingleiten lassen konnte. Was für ein wohltuendes Gefühl mit sofortiger Entspannung im ganzen Körper. Wie schön, dass es – aufgrund der aktiven Geothermie – in ganz Japan Onsen gibt. Ob wir uns nach einem langen Tag im Schnee etwas Besseres vorstellen können? Nein, der Punkt wanderte damit direkt auf unsere tägliche To-Do-Liste.
Wir fühlen uns schnell wohl im Winterwonderland.
Die ersten Meter im berühmten Japow konnten wir dann am nächsten Tag im lokalen Skigebiet sammeln. Übernacht hatte es geschneit und wir waren so aufgeregt, dass wir kaum schlafen konnten. Vielleicht lag es aber auch an dem Räumungsgerät, das direkt vor unserem Fenster seine Bahnen gezogen hatte und aufgrund der schlechten Isolierung eine horrende Lautstärke mit sich brachte. Nichts desto trotz war die Motivation enorm, selbst wenn die Schlange am Lift viel Wartezeit mit sich brachte und leider auch der obere Teil des Skigebiets, aufgrund des anhaltenden Schneesturms, geschlossen war. Beim Aufstieg auf einer geschlossenen Piste, kamen wir mit einem Einheimischen „ins Gespräch“, unterstützt mit Händen und Füßen und Google Translator. Wir sollten doch unbedingt wiederkommen und es sei eher ein schlechter Winter dieses Jahr. Bei den Schneemassen, die wir bereits gesehen hatten, war das kaum zu glauben. Aber gerne überprüfen wir das zu einem späteren Zeitpunkt nochmal.
Der nächste Stop auf der Reise ist das zwei Stunden entfernte Myoko Kogen im gleichnamigen Nationalpark am Fuße des aktiven Stratovulkans Mt. Myoko (2.454 m). Hier soll das wahre Skiabenteuer für uns losgehen. Am Abend unserer Ankunft nehmen wir noch an einer Safety Night mit lokalen Bergführern teil, um uns über mögliche Gefahren zu informieren. Hier erfahren wir, dass – aufgrund der Geothermie – in Japan Gleitschneelawinen den ganzen Winter über möglich sind. Anzeichen hierfür sind beispielsweise ein schwefelhaltiger Geruch oder plötzliche Veränderungen der Schneebeschaffenheit. Außerdem werden wir darüber aufgeklärt, dass es in Japan ein nicht mal ansatzweise vergleichbares Sicherheitssystem zu unserem in Europa gibt. Was die Information zur Lawinenlage oder auch dem Rettungssystem angeht – im Notfall müsse man sich wohl darauf gefasst machen, eine Schneehöhle zu bauen, um dann möglicherweise erst am nächsten Tag von der Polizei gerettet zu werden. Für uns ist klar: Wir bleiben defensiv unterwegs und wollen kein unnötiges Risiko eingehen. In unserer Unterkunft – einer Blockhütte aus Holz – treffen wir direkt auf zwei Kanadier, die sich uns die nächsten Tage anschließen wollen.
Eine in die Jahre gekommene Gondel und ein alter, langsamer Sessellift bringen uns gemächlich durch die Birkenwälder an den höchsten Punkt des Skigebiets „Akakura Kanko Resort Ski Area“. Wir befinden uns auf ca. 1.500 Hm an der Ostflanke des Vulkans Mt. Myoko, welcher somit auch die Grenzen der Inbound-Area des Skigebiets bildet. Ein bisschen unwohl fühlen wir uns schon beim ersten Verlassen des Skigebiets, die Berichte vom Vorabend im Kopf. Dennoch ist der Schnee abseits der Pisten zu verlockend und genau der Grund, weshalb wir hier sind. Mit unseren neuen Freunden heizen wir also durch die Birkenwälder, der Abstand der Bäume lädt geradezu zum Slalomfahren ein.
Mt. Myoko – Der Ausblick lohnt sich.
Unten am Lifteinstieg mit strahlenden Gesichtern angekommen, wollen wir definitiv mehr davon. Nach ein paar Runden neben den Pisten und entlang der Liftschneise wagen wir uns ins Backcountry und steigen in Richtung Maeyama auf (1.932 m). Die Birkenwälder lichten sich mit zunehmender Höhe, während der Einfluss vom Wind deutlicher wird. Die eben noch geraden Bäume krümmen sich mit zunehmender Höhe und bieten uns, mit dem Zusammenspiel aus dem umherziehenden Nebel, ein mystisches Bild. Ganz bedächtig steigen wir bis kurz unterm Gipfel auf, richten uns zur Abfahrt ein und sind uns noch unschlüssig, in welche Richtung wir abfahren sollen. Leider gibt es für Japan generell recht wenig Kartenmaterial, insbesondere zum Skitouren, sodass man vieles vor Ort einsehen und bewerten muss. Wir sprechen zwei Finnen an, die uns auf dem Weg gefolgt waren. Sie kennen die Route bereits von einer letzten Reise und übernehmen die Führung. Unsere Abfahrt durch das hügelige und teilweise struppige Gelände mündet auf einer ehemaligen Piste, das verlassene Lifthäuschen und die Stützen in Sichtweite. Aus dem Nebel ist mittlerweile Schneefall geworden und die Dämmerung setzt langsam ein. Zeit für uns, durch den geöffneten Teil des Skigebiets abzufahren und es uns in unserer Blockhütte bei einem Hotpot gemütlich zu machen.
Nach einem original japanischen Frühstück mit Miso-Suppe, Reis, gebratenem Fisch und eingelegtem Gemüse starten wir unseren Tag im Skigebiet Myoko Suginohara, an der Westflanke des Mt. Myoko. Angefixt von unserer Abenteuerlust verweilen wir nicht allzu lange im Liftbereich (1.855 m), sondern machen uns auf den Weg in Richtung Kraterrand des Mt. Myoko (ca. 2.300 m). Das Wetter wechselt wieder zwischen Nebel und Schneefall. Gefühlt steigen wir entlang der Aufstiegsspur ins Nichts auf. Nach etwa einer Stunde Aufstieg erreichen wir unser Ziel und blicken in den Krater. Die Situation ist schwer zu fassen – im tiefsten Winter stehen wir auf einem Kraterrand eines aktiven Vulkans, bis auf eine andere Gruppe alleine. Der Nebel lichtet sich, sowie der Schneefall und die Sonne kämpft sich durch die Wolken. Der Moment ist unglaublich. Auf einmal können wir in alle Richtungen sehen und bekommen ein Gefühl für die Landschaft, in der wir gerade stehen. Wir erahnen weitere Vulkankegel und Seen um uns herum.
Japanisches Frühstück zur Stärkung vor einem erfolgreichen Skitag.
Der frisch gefallene Schnee wartet förmlich auf uns. Wir beeilen uns und fahren entlang unserer Aufstiegsspur ab. Es staubt um uns, wir lachen und jauchzen. Die Stimmung mit dem Lichtspiel aus Sonne und Wolken ist magisch. Vor lauter Endorphinen beschließen wir, nach unserer Abfahrt Richtung Skigebiet, auf einen weiteren Gipfel Richtung Mt. Akakura (2.141 m) aufzusteigen. Oben angekommen werden die Wolkenfelder wieder dichter, die Sicht schlechter. Kurz nach 16:00 Uhr fahren wir durch unberührte Hänge durch die Birkenwälder ab, fahren zurück in das mittlerweile verlassene Skigebiet und genießen den Sonnenuntergang, während wir die achteinhalb kilometerlange Piste bis zum Parkplatz entlang cruisen. Wir gönnen uns ein heißes Getränk aus einem der Getränkeautomaten und stoßen auf diesen tollen Tag an. Sofort fassen wir den Entschluss, morgen nochmals zum Krater aufzusteigen und dort abzufahren.
Gesagt, getan – wir starten unsere Mission mit der Öffnung des Lifts, fahren einmal bis zum höchsten Punkt und steigen wie am Tag zuvor Richtung Krater auf. Heute ohne Nebel, aber mit ein paar Wolken. Wir liegen gut im Zeitplan, sind gegen Mittag abfahrtbereit und fahren sogar zweimal in den Krater ab, weil der Schnee nochmal fluffiger und tiefer ist als am Tag zuvor. Wir sehen heute mehr Gruppen als gestern, aber finden noch immer genügend unverspurte Lines durch den Tiefschnee. Der Wiederaufstieg auf den Kraterrand ist durch die Schneetiefe und Lockerheit anstrengend, aber lohnt sich. Für unsere zweite Abfahrt suchen wir uns nochmal ein anderes Stück vom Krater, doch Schwefelgeruch zieht uns in die Nase. Wir sehen sogar, dass die Schneedecke an manchen Stellen weggeschmolzen ist. Ein mulmiges Gefühl macht sich breit. Wir entscheiden uns dennoch einzeln die Zone zu überfahren und überlegen uns Safety-Spots, wo wir uns treffen wollen. Es geht alles gut. Wir genießen die zweite Runde im feinsten Japow. Zurück oben am Krater stellen wir uns die Frage, ob wir denselben Weg wie gestern abfahren möchten, oder so, wie unser Gastgeber – ein passionierter Splitboarder – uns empfohlen hat. Wir entscheiden uns für die zweite Variante. Es ist kurz nach 15:00 Uhr und wir haben schon ein paar Höhenmeter in den Beinen. Wir stückeln uns unseren Weg mithilfe diverser Karten-Apps wie Fatmap, Alpenverein Aktiv und Outdooractive zusammen und versuchen uns aus unserer Sicht soweit links zu halten wie möglich. Wohlwissend, dass wir sonst einen ganz schön langen Forstweg zurücklaufen müssen.
Aufstieg durch die Schneelandschaft.
Zunächst ist der Wald noch gut befahrbar, wir haben tolle Momente im Powder. Je tiefer wir kommen, desto weniger Schnee finden wir (immer noch ausreichend zum Fahren) – die Bäume und das Gestrüpp verdichten sich. Ich versuche mein Gesicht beim Fahren vor Sträuchern und Ästen zu schützen und nirgends hängen zu bleiben. Die Abfahrt zieht sich. Es sind immerhin ca. 1.000 Hm und wir müssen uns dabei immer wieder neu orientieren. Alle sind platt. Ich mache nicht mal mehr Fotos. Wir schaffen es endlich ins Tal auf diesen Forstweg, es beginnt zu schneien und dämmern. Unsere Trinkreserven sind fast verbraucht. Leider sind wir wohl doch nicht ausreichend während der Abfahrt gequert. Wir laufen fast eineinhalb Stunden alleine – im schönsten Winterwonderland und entlang des elendigen Forstwegs – zurück in Richtung Skigebiet. Bis wir wieder in der Zivilisation ankommen, ist es längst dunkel.
Zurück im Skigebiet stellen wir fest, dass wir am falschen Parkplatz sind und nochmal 200 m aufsteigen müssen, um zum Auto zurückzukommen. Jonas opfert sich, während wir drei in der Gaststätte am Lift auf ihn warten. Ich bin völlig platt und versuche mich so gut wie möglich zu erholen, weil wir heute noch direkt weiter ins zwei Stunden entfernte Hakuba fahren wollen. Unsere Gastgeber haben mir mittlerweile schon geschrieben, ob denn alles in Ordnung sei, wir wollten doch schon längst zurück sein. Ich antworte und bin durchaus etwas froh, dass alles gut gegangen ist. In Hakuba warten außerdem auch noch zwei Freunde von uns aus München, die wir zum Abendessen treffen wollten. Aus Abendessen wird ein Mitternachtssnack, aber nach dem grandiosen Auftakt sind wir gespannt, wie es für uns in Japan weitergeht! Wir verabschieden uns von unseren kanadischen Freunden und freuen uns schon auf ein Wiedersehen, irgendwann und irgendwo im Schnee.
In Hakuba wachen wir bei Sonne pur und blauem Himmel auf. Unsere Freunde aus München sind hochmotiviert, also versuchen wir den Muskelkater zu verdrängen und fahren ins Skigebiet Tsugaike. Jonas und ich kommen nicht recht in die Gänge, daher vergnügen wir uns erst auf den Pisten. In der Ferne können wir den Mt. Myoko aus den Tagen zuvor sehen. Eine kleine Erkundungstour ist heute trotzdem drin und wir steigen am Nachmittag zu einer Anhöhe auf ca. 2.000 m auf. Unser Weg verläuft zunächst entlang eines Forstwegs, vorbei an zwei Hütten, auf denen sogar die Inschrift „Tsugaike Hütte“ steht. Diese sind im Winter geschlossen, im Sommer wohl eine Art Alpenvereinshütte.
Der Ausblick auf die umliegenden Gipfel ist fabelhaft, es gibt einige Berge und Hänge, die sich zum Skitouren anbieten. Wir verstehen sofort, warum das Gebiet als Japanische Alpen bezeichnet wird. Jonas und ich genießen die Sonne und die Wärme. Es ist richtig frühlingshaft, wir brauchen nicht mal Jacken. Theresa und Michi sind etwas enttäuscht. Wir verstehen das. Man hört doch immer, dass es in Japan nur Schneestürme gibt. An unserem „Gipfel“ gibt es ein Onigiri als Snack, bevor wir umbauen und abfahren. Der Schnee ist leider mehr Bruchharsch als Powder, die Sonne und Wärme hat ihren Teil geleistet. Leider ist für die nächsten Tage erstmal kein Neuschnee in Sicht. Wir versuchen die Stimmung trotzdem hochzuhalten und gönnen uns zum Après-Ski erst ein kühles Bier zum warmen Fussbad im frei zugänglichen Outdoor Onsen im Tal und danach eine Portion Ramen.
Am nächsten Tag wollen wir das (zu) gute Wetter nutzen und peilen einen Vorgipfel aus dem Skigebiet Happo-One an. Wir nehmen die Lifte (Gondel Alpen-Lift und alten Sessellift) bis hoch zur Berghütte Happoike Sanso (ca. 1.850 m) und steigen von dort aus weiter in Richtung Mt. Karamatsu (2.696 m) auf. Die Fernsicht ist beeindruckend, wir können sogar den Mt. Fuji in der Ferne erkennen. Wir entscheiden uns, in eine längere, nordseitige Rinne abzufahren. Zwar kein Powder, dafür aber anspruchsvolles und steiles Big Mountain Skiing. Die anfangs weit geöffnete Rinne verengt sich zunehmend, je weiter wir uns dem Talboden nähern. Am Ende gelangen wir über eine finale Steilstufe in ein lang gezogenes Tal mit einem Bachlauf, der immer wieder von Geschiebesperren durchzogen ist. Die Dimensionen sind enorm, wo doch sonst alles in Japan so klein und niedlich erscheint, können wir hier nur erahnen, was im Frühjahr bei der Schneeschmelze für Wassermassen ins Tal schießen. Wir folgen dem Wasserlauf bis zu einer Straße und kommen ins Gespräch mit lokalen Freeridern, die uns netterweise zum Parkplatz der Gondel mitnehmen, auf dem unser Auto steht. So sparen wir uns den gut einstündigen Fussmarsch zurück.
Die nächsten Tage in Hakuba verschlechtert sich das Wetter und wir nutzen die Zeit, um zum Snow Monkey Park zu fahren und die Makkaren zu bestaunen, die es sich dort in einer warmen Quelle, in ihrem eigenen Outdoor-Onsen gemütlich machen. Beim Besuch fragen wir uns, wer hier wohl wen beobachtet und sich amüsiert. Zudem machen wir Stopp am Tokakuchi Schrein und bewundern die kilometerlange Allee aus über 900 Jahre alten, hochgewachsenen Zedern, welche die drei einzelnen Heiligtümer verbinden. Zur Stärkung probieren wir im Anschluss die dort bekannten Soba-Nudeln und schauen dem leichten Schneegestöber aus dem Restaurant zu. Wir lassen den Tag in einem weiteren Onsen in Hakuba ausklingen und genießen die ruhige Atmosphäre. Am nächsten Tag überraschen uns ein paar Affen auf dem Weg zum Auto, die um unsere Unterkunft herum toben. Sie schwingen sich von Ast zu Ast und wir freuen uns über unser Glück – hatte unser Gastgeber doch gesagt, dass die Affen nur zwei- bis dreimal pro Saison vorbeiziehen. Unseren zweiten Down-Day verbringen wir in Hakuba und schauen uns etwas in den lokalen Geschäften und Bars um. Am nächsten Tag packen wir unsere Sachen und fahren mit dem Leihauto zurück nach Tokio, um von dort aus nach Sapporo auf Hokkaido zu fliegen.
Auf Erkundungstour in Tokio.
Auf Hokkaido werden wir von einem satten Schneesturm begrüßt, der die Autofahrt vom Flughafen bis zu unserer Unterkunft zu einem reinen Abenteuer gestaltet. Der Schnee auf der Fahrbahn wirbelt wie Staub durch die Luft, man sieht keinen Meter weit, dazu bricht die Dunkelheit heran. Die Straßenverläufe sind mit herabhängenden blinkenden Pfeilen markiert, wir fühlen uns wie bei Super Mario im Frappé Snowland. Neben den Straßen liegt Schnee, mindestens halb so hoch wie unser Toyota Noah. Unsere Gastgeber schreiben uns, dass wir vorsichtig fahren sollen. Nach rund zweieinhalb Stunden kommen wir erschöpft an unserer Unterkunft für die nächsten Tage an – einem kleinen Holzhaus zwischen schneebedeckten Feldern. Unser Gastgeber räumt gerade noch die Einfahrt vom Schnee mit seinem Traktor frei und will gleich am nächsten Morgen nochmal zum Schneeräumen kommen. Wir machen es uns im Holzhäuschen gemütlich und schmeißen erstmal den Elektro-Ofen an. Im ersten Stock warten Futons auf uns. Eine Mischung aus Vorfreude und Nervosität auf den morgigen Tag macht sich breit (es wird schließlich ein Powder-Day) und wir wägen ab, welches wohl das beste Skiresort für unseren Start auf Hokkaido sein wird. Wir entscheiden uns für das „Moiwa Ski Resort“, einem kleineren Nachbar-Skigebiet von Niseko.
Mit dieser Idee sind wir nicht allein – bereits eine halbe Stunde vor offizieller Liftöffnung reihen sich eine Menge Leute vor dem Lift. Wir hören vor allem (australisches) Englisch und Französisch, aber auch ein paar Brocken Deutsch. Zum Ski-Ticket gibt es ein Origami dazu, ich nehme mir einen kleinen pinken Kranich als Glücksbringer mit. Auch in Moiwa gilt sich an die Regeln des Skigebiets zu halten: Sind die Gates für die Abseitsabfahrten geschlossen, sollten diese auch nicht befahren werden. Andernfalls riskiert man, dass einem der Skipass abgenommen wird. Zunächst gibt es aber auch noch genügend viel Neuschnee innerhalb des Skigebiets, der zerpflügt werden will. Die Abfahrten sind nicht lang, aber der Schnee ist ein Traum – genauso hatten wir uns den Japow vorgestellt: unglaublich weich, pulvrig und einfach nur Spaß. Nach und nach wagen wir den Weg durch die offenen Gates. Einmal landen wir im angrenzenden Skigebiet Niseko und müssen ein Stück zurückstapfen. Ein anderes Mal sind wir Zeugen, wie ein anderer Skifahrer eine mittelgroße Lawine losreißt und müssen den zusammengeschobenen Schnee queren. Für uns wieder eine kleine Warnung, weiterhin vorsichtig und defensiv zu agieren.
Shredden zwischen den Bäumen.
Am Abend sind wir mehr als glücklich. Wir lassen den Tag ganz gemütlich in unserem Häuschen ausklingen und kochen uns ein Curry, zusammen mit dem viel gelobten Reis aus den Unterkunftsbewertungen, den unser Gastgeber selbst anbaut. Und wir bestätigen gerne, Reis ist nicht gleich Reis und das war wohl der beste, den wir je gegessen haben.
Der nächste Powderday steht schon in den Startlöchern und wir entscheiden uns, nach Rusutsu zu fahren. Leider sind die Verhältnisse dort nicht ganz so toll wie am Tag zuvor, einiges ist zerfahren und unter der weichen Schneeschicht liegt eine feste, gefrorene Schicht. Zudem frischt der Wind auf und es ist richtig ungemütlich draußen. Wir entscheiden uns am frühen Nachmittag in den dortigen Onsen zu gehen und werden von einem modernen Spa mit inbegriffenen Pflegeartikeln im Fünf-Sterne-Hotel überrascht, Eintritt für umgerechnet acht Euro. Hier lässt es sich aushalten. Unser Highlight des Tages ist aber tatsächlich unser spontanes Abendessen in einem anderen Onsen auf dem Rückweg zur Unterkunft – eine leckere Portion Ramen mit cremigem Kartoffelschaum, die uns auch nochmal von innen aufwärmt, bei dem Schneegestöber draußen. Später erfahren wir, dass es sich um die lokalen Niseko Ramen und ein bekanntes Restaurant handelt, das wir uns zufällig ausgesucht haben.
Rusutsu, Hokkaido.
Der dritte Tag begrüßt uns mit blauem Himmel und Sonne pur. Wir machen uns zu einer Skitour zum Chisenpuri (1.134 m) auf. Der Startpunkt liegt praktischerweise direkt neben einem Onsen und einer außenliegenden heißen Quellen, die ordentlich nach Schwefel duftet. Wir umrunden den dampfenden, kleinen Schwefelsee und suchen uns unseren Weg durch die frisch eingeschneiten Birkenwälder. An den Ästen haben sich baumwollartige Schneeballen geformt, was der Atmosphäre etwas Magisches verleiht. Wir können uns nicht sattsehen an dem frisch gefallenen Pulverschnee, dem eisblauen Himmel, den süßen Birken, dem Weitblick auf die anderen Vulkane und sogar dem Meer, das in der Ferne die Sonne spiegelt.
Traumhafte Kulisse auf unserer Skitour zum Chisenpuri.
Die letzten Höhenmeter steigen wir auf einem freien Hang mit Spitzkehren auf den Gipfel, einer großen Schneekuppe. Ein Holzpflock mit Schriftzeichen ersetzt das Gipfelkreuz. Wir bauen schnell um und genießen die ersten Schwünge im weichen Powder. Wir entscheiden uns noch ein Stück auf den Vorgipfel eines gegenüberliegenden Berges zu steigen. Unsere Schwünge bergab machen immer noch Spaß, aber wir merken, dass der Schnee weiter unten zunehmend schwerer wird. Je näher wir dem Parkplatz kommen, steigt uns auch der Geruch nach faulen Eiern in die Nase. Trotzdem begeben wir uns wieder auf einen kurzen Stopp im Onsen. Hier ist der Geruch zwar im Wasser, doch nicht so intensiv. Der Geruch nach Schwefel wird uns tatsächlich noch ein paar Tage begleiten. Auf der Haut und vor allem im Auto, welches wir auf unserer Heimfahrt ganz gut einräuchern. Ein kurzer Stopp in Niseko Village ist auch noch drin.
An unserem letzten Tag in Niseko möchten wir den Mt. Yotei, den Mt. Fuji von Hokkaido in Angriff nehmen. Wir grübeln und recherchieren, aus welcher Himmelsrichtung wohl die beste Aufstiegsroute startet. Schlussendlich wählen wir die Kimobetsu Route auf der Ostflanke des Mt. Yotei. Bei der Recherche wird auch deutlich, dass ein Aufstieg bis zum Krater wohl nicht drin ist, da wir keine Steigeisen dabei haben. Für gewöhnlich ist der Gipfel – oder in dem Fall die Kraterzone beziehungsweise der weitere Anstieg – nach der Baumgrenze wohl sehr steil, vom Wind verblasen und eisig. Wir entscheiden uns gegen die Gipfelzone und beschließen, bis auf 1.400 m aufzusteigen. Es ist sehr spannend, diesen freistehenden Vulkan zu besteigen. Mit zunehmender Höhe nimmt die Steilheit kontinuierlich zu, die Vegetation ändert sich vom dichten Wald zum lockeren Birkenwald und auch die einzelnen Birken wandeln sich von gerade hochgewachsen zu vom Wind gekrümmt. Die Aussicht über die umgebende Landschaft ist fantastisch.Von dort sehen wir wieder das Meer und weit nach Osten.
Der Blick auf den Mt. Yotei liefert einen kleinen Vorgeschmack auf die abenteuerliche Abfahrt.
Mit gutem Gewissen und schweren Beinen von den letzten Tagen machen wir kurz oberhalb der Baumgrenze kehrt. Der Schnee wird zunehmend windgepresst wie erwartet und für einen tatsächlichen Gipfelanstieg wären wir sowieso bereits zu spät dran. Außerdem beschließen wir, dass wir uns ja noch ein Ziel für das nächste Mal auf Hokkaido aufheben wollen. Unseren letzten gemeinsamen Abend zu viert lassen wir in einem Grillrestaurant – einem Yakitori – ausklingen. Für Theresa und Michi geht es über Sapporo zurück nach Tokio und München; für Jonas und mich nach einen weiteren Nacht ebenfalls nach Sapporo und dann aber noch weiter in den Osten/die Mitte der Insel, nach Furano/Asahidake.
Sapporo, die Hauptstadt von Hokkaido.
Auf der Fahrt ins entlegene Ronenai frage ich mich und Jonas immer wieder, ob wir nicht in Niseko hätten bleiben sollen. Der Wetterbericht ist durchwachsen, eher mit Sonne. Wir wollen aber Schnee. Zudem erscheint mir die vorbeiziehende Landschaft sehr langweilig, es sind eher Hügel, die Birkenhaine sind jetzt zunehmend von Nadelbäumen durchsetzt. Meine Motivation für die letzten Tage auf Hokkaido sinkt, weil ich mich frage, wo man hier toll Skifahren soll. Es war bisher so ein toller Trip gewesen und es gäbe doch noch so viel mehr zu entdecken im Westen der Insel.
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