Mit dem Wohnmobil nach Schweden

Einmal Nordlicht und zurück

Polarlichter in Schweden

Fast jeder träumt davon, einmal Polarlichter zu sehen. Wir auch, dachte sich Familie Oud – und fuhr los: vier Wochen durch Schweden, immer gen Lappland. Und das im Spätsommer, denn die Nordlicht-Saison beginnt dort Ende August.

»Papa, rechts! Ja, dort, hinter dir! Jetzt, links, über uns.« Grün schimmernd tanzen sie über den Himmel. Wie an Silvester, aber in Zeitlupe und ohne Lärm und Rauch. Polarlichter – oder wie der Profi sagt: Aurora borealis – es gibt sie tatsächlich.
Vier Wochen zuvor war ich noch skeptisch. Lappland? Wirklich? Lohnt sich das überhaupt? Habt ihr mal geschaut, wie viel weiter das als Astrid Lindgrens Märchenpark ist? Bis südlich von Östersund haben wir die letzten Jahre bereits viel erkundet, aber nun wollen sie bis zum Polarkreis. Meine drei Frauen Nina (9),
Mali­­n (11) und Birke (jung geblieben) sind glücklich – und ich überstimmt. Da werden wir im Urlaub wohl viel Zeit auf der Straß­e nach Norden verbringen.
Als Fotografin ist Birke schon seit Jahren begeistert vom hohe­­n Norden. Die unendlichen Weiten Schwedens, die menschenleere Hügellandschaft, wo Rentiere grasen und im Sommer die Sonne nicht untergeht. Das Land der ewigen blauen Stunde. Dazu Wanderungen zwischen saftigen Blaubeer-Teppichen und durch alte Wälder und Moorlandschaften. Hinzu kommt das bei Reisemobilisten äußerst beliebte Jedermannsrecht: Man kann überall übernachten, wo man niemanden stört. Gründe genug, um 3000 Kilometer von Deutschlands Süden bis in den Norden Schwedens zu fahren. Ich packe das Reisemobil.
»Ich packe das Reisemobil« bedeutet bei uns meist auch eine gewisse Optimierung. Die Kassettentoilette wird für längere Autarkie gegen eine Trockentrenntoilette ausgetauscht, die Stromversorgung auf Lithium umgebaut (es muss schließlich unterwegs auch gearbeitet werden), die Solaranlage erweitert. Ein zweiter Booster sorgt für extra Unabhängigkeit. Ach ja, natürlich, der Thermomix muss auch mit. Also Wechselrichter wechseln, den Kabeldurchschnitt anpassen und schon läuft das.
Zwei Wochen später fahren wir los. Sommerurlaub mit Kajak­­s auf dem Dach, SUPs in der Heckgarage und warmen Klamotte­­n für den Frühherbst in Lappland. Die Mitnahme von Fahrrädern wurde dem 3,5-Tonnen-Limit unseres Wohnmobils geopfert. Und 80 Zentimeter kürzer schadet dem Geldbeutel auch nicht, wenn man die Fähre bucht. Einmal durch Deutschland hoch, Nachtfähre bis Trelleborg, Frühstück am Leuchtturm von Kullen. An Schwedens Westküste gibt es viele schöne
Stellen, die zu einer Paddeltour einladen, wie beispielsweise die Gegend um Lysekil und der Klosterhavet Nationalpark.
In Fjällbacka, einem schmucken altschwedischen Städtchen mit der bekannten Ronja-Räubertochter-Schlucht, erkunden wir auf dem Wasser die vorgelagerten Schäreninseln mit ihren glatten Felsen. Eine Robbe taucht auf und beobachtet neugierig unser­­e bunten Kajaks. Immer wieder taucht sie unter uns durch und erscheint Sekunden später an anderer Stelle. Ein herzliches ­Willkommen in Schwedens Natur.

  • Jedermannsrecht: Campen direkt am Wasser in Schweden
    Psssst, nicht stören: ein Reisemobil in seinem natürlichen Habitat.
  • Familie Oud am Polarkreis
    Überm Polarkreis beginnt Ende August die Saison für Polarlichter – oder Norssken, ­wie man in Schweden sagt.

Eine Tüte Bilar-Gummiautos (Bilar ist Schwedens Pendant zu Haribo) weiter erreichen wir Trollhättan, ein Städtchen, das jahrzehnte­lang Zahnärzt:innen und Deutschlehrer:innen mit Autos der Mark­e Saab versorgt hat. Nach einer zwar erfolglosen, aber trotzdem spannenden Elchpirsch in der Nacht grillen wir Stockbrot an einem Lagerfeuer im Nygårdsparken. Hier gibt es einige der brand­sicheren Feuerstellen, die so typisch sind für Schweden.

Malin: Das finde ich toll hier: Überall gibt es diese Feuer­stellen – mit Grillrost, trockenem Holz und manchmal
sogar mit Pfannen oder Anzündern. Bei unseren langen Wanderungen legen wir an so einer Feuerstelle oft eine Pause ein und grillen Marshmallows und Würstchen, die wir im Rucksack mitgebracht haben. Außerdem haben die Schweden viele Schutzhütten mitten in der Natur. Da kann man es sich ­gemütlich machen, wenn es mal regnet. ­Ich würde auch gerne mal in so einer Hütte übernachten, dazu muss man aber Schlafsack und Isomatte bringen. Teuer wäre das nicht, die Hütten sind kostenlos, oder man hinterlässt eine kleine Spende.

Noch müde von der späten Wanderung fahren wir morgens mit Verspätung weiter. In die Ruhe tönt plötzlich lautes Geschrei von allen Plätzen: Eine Mischung aus »PAPAPAPA«, »STOPP!!!« und »LCHLCH« schallt durchs Fahrzeug. Bremsen. Wir starren aus dem Fenster. Seelenruhig steht da ein Elch. Auf langen, schlaksigen Beinen hat er einen der wenigen Gärten hier im Natur­reservat betreten und schnappt sich sein Frühstück von einem Apfelbaum. Vorsichtig schleichen wir uns aus dem Auto und gehen Schritt für Schritt, aber immer in sicherer Distanz, auf das Tier zu. Unser erster Elch!
An einem der vielen Seen von Värmland finden wir Ruhe nach unseren ersten Abenteuern. Auf einer kleinen Halbinsel suchen wir uns ein einsames Plätzchen für unser Wohnmobil, mit Feuerstelle und Zugang zum angrenzenden Moorsee. Ein paar Tage lassen wir hier bei sommerlichen 30 Grad die Seele baumeln. Wir schwimmen, paddeln, basteln und sitzen abends am Lager­feuer. Malin und Nina basteln aus Moos und Zweigen eine ganze Trollfamilie – inklusive Trollhütten. Dabei denken sie sich wilde Trollgeschichten aus.

Malin: In der Nähe liegt der Berg Sörknatten – und darauf die Mattisburg, die ich aus dem Film »Ronja ­Räubertochter« kenne. Da gehen wir hoch! Oben angekommen, erwartet uns zwar eine weite Aussicht, aber leider keine Burg. Die war wohl nur eine Filmkulisse und ist abgebaut worden. Aber gut, schön ist es trotzdem.

Weiter geht es entlang der E45. Als offizielle »Europastraße« führt diese über 5190 Kilometer von Sizilien bis nach Norwegen – auch die A7 in Deutschland ist Teil der E45. In Schweden führt sie als »Inlandsvägen« fast 1400 Kilometer durch das ganze Land und ist das zentrale Rückgrat im schwedischen Wegenetz.

Stand up paddeln in Schwedens unberührter Landschaft

Weite Wasser: Statt Fahrrädern hat Familie Oud
Kajaks und SUPs in das Wohnmobil geladen.

Von hier aus gehen einzelne Straßen östlich zur Küste oder westlich in die Berge vor Norwegen. Nördlich von Östersund folgen wir einem dieser westlichen Schwenks ins Fjäll, dem Vildmarksvägen. Entlang beeindruckender Berglandschaften führt die höchst­gelegene Straße Schwedens in eine eigene Welt. Im August sind die meisten Touristen bereits weg und wir entdecken viele einsame Plätze für längere Wanderungen, Laufrunden und Entspannung in der Hängematte. Wenn es ab und an wie aus Kübeln schüttet, freuen sich die Kinder, denn dann ist Zeit für Gesellschaftsspiele im gemütlichen Wohnmobil. Am Stekenjokk, mitten in der samischen Kulturlandschaft, treffen wir erstmals auf eine Gruppe Rentiere. Langsam und vorsichtig nähern wir uns den hübschen Tieren. Sie haben keine Scheu und kommen uns sogar plötzlich entgegen, näher als es den Kindern lieb ist.
Zurück im Wohnmobil folgt die Abendroutine: Nach dem Zähneputzen legen sich die Kinder in ihre Stockbetten, bevor ich von fernen Abenteuern vorlese. Anschließend ziehen Birke und ich uns warm an, machen es uns mit Decken auf unserer Klappcouch bequem und philosophieren in den Sternenhimmel hinein, meist begleitet vom Knistern des Lagerfeuers.

Malin: Was wir erst spät kapiert haben, ist die Funktion der Kreuzschilder. Damit markieren die Schweden ihre Win­ter­­wanderwege. Ist alles gefroren ­und voller Schnee, zeige­­n sie den besten Weg durch die Tundra. Folgt man ihne­­n im Sommer, steht man gern einmal an einem See und sieht das nächste Schild erst auf der anderen Seite. Dadurch sind so manche Abenteuer entstanden, bei dene­n wir auf Steinen über Bäche hüpfen oder proviso­rische Brücken bauen mussten.

  •  Astrid Lindgrens Värld ­in Vimmerby ist ein Familien Highlight
    Für viele Familien ist schon die Astrid Lindgrens Värld ­in Vimmerby Grund genug für einen Schweden-Trip.
  • Wanderung durch die Schlucht Slåttdalsskrevan in Schweden
    Wander­­abenteuer in der ­Schlucht Slåttdalsskrevan.

Sogar über Regen freuen sich die Kinder –
dann ist Spielezeit im Wohnmobil.

Die Nächte werden weiter nördlich bereits kühler und sorgen für guten Schlaf. Nichtsdestotrotz ist morgens imme­­r »Fresh Air Snapping« angesagt. Wenn nicht alle vor 10 Uhr einmal draußen an der frischen Luft waren, sinkt neben dem Sauerstoffgehalt auch die Reizschwelle. Wir früh­stücken daher meist draußen an einem der vielen Picknickt­ische und planen bei dampfendem Tee die nächsten Reise­abschnitte.
Mit vielen Stopps bewegen wir uns auf der E45 gemütlich weiter gen Norden. Tageweise wandern und staunen wir in der nahezu unberührten Natur Lapplands, als wir von etwas ganz Besonderem überrascht werden …

Birke: Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich sie wieder vor mir. Leuchtend grüne, rosa, rote und lila Lichter, die eine­­n pulsierenden Tanz am Himmel voll­führen. Es ist wie ein fantastisches Feuerwerk, nur tausendmal schöner, lautlos und mystisch. Kein Foto, kein Film kann die Magie wiedergeben, die Polarlichter ausstrahlen.

Nordlichter zeigen sich im Lappland etwa ab dem 20. August bis Mitte April, wenn die Nächte dunkel genug sind und der Himmel klar. Sie erscheinen als einzelne oder doppelte Böge­n, Bänder, Kronen und Schleier in unterschiedlichsten Formen. Je höher die Intensität, desto schöner die Lichterschau.
Unser erstes Nordlicht erscheint als ein einfacher, leuchten­­d grüner Bogen, die zweite Nacht gibt es ein wildes Lichter­spektakel – und wir sind komplett aus dem Häuschen. Schön auch, wenn sich das Vergnügen verdoppelt – etwa durch die Spiegelung in einem See. Weil im August und September meist weniger Bewölkung ist als im November und Dezember, gelten sie als gute Monate für das Beobachten der Polarlichter. Außerdem sind die Nächte nicht ganz so kalt wie im Winter.
Wir können unser Glück kaum fassen. Es ist Ende Augus­­t und wir haben das Polarlicht gesehen! Sogar mehrer­­e Nächte hintereinander, in unterschiedlichen Farbe­­n, Formen und Frequenzen. Kaum fassen kann ich wenige Tage später auch die Berechnung von Tante Googl­e, als wir unseren Heimathafen Augsburg eingeben: 3000 Kilometer. Mist, da war noch was.


TEXT: Sam Oud

FOTOS: Birke Oud

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