Big Biking Cleanup: Müllsammeln mit dem Lastenrad

BigBikingCleanup
Zwei Männer und zwei Cargo-Bikes – unterwegs im Auftrag der Meere. Andreas Winkelmann und Markus Knüfken starten im April zu ihrer Big-Biking-Cleanup-Tour rund um Nord- und Ostsee. Unterwegs säubern sie Küsten und Strände von Plastikmüll.

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Das Projekt

In drei Monaten 7600 Kilometer um Nord- und Ostsee fahren und die Strände von Plastikmüll befreien – das ist der ambitionierte Plan von Andreas Winkelmann und Markus Knüfken, ihres Zeichens Schriftsteller und Schauspieler (u.a. »Bang Boom Bang«). Globetrotter unterstützt die zwei Rad-Aktivisten mit nachhaltiger Ausrüstung für ihr Abenteuer.

Big Biking Cleanup
Andreas Winkelmann
Big Biking Cleanup
Markus Knüfken

Der Startschuss für die »Big Biking Cleanup«-Tour fällt im April 2022 vor dem Globetrotter Stammhaus am Wiesendamm in Hamburg. Entlang der Elbe geht es auf elektrifizierten Cargo-Bikes zunächst in Richtung Nordsee, anschließend warten zehn Länder und tausende Kilometer Küste auf die zwei Pedalhelden.

Immer dort, wo sie in ihren Zelten übernachten, werden sie am Strand auch Plastikmüll und angespülte Fischernetze einsammeln, wiegen und dokumentieren. Anschließend bringen Andreas und Markus den Müll mit ihren Lastenrädern zum nächstgelegenen Wertstoffhof.

Neben der Müllaktion sammeln Andreas und Markus über ihre Social-Media-Kanäle auch Geld für die gemeinnützige Organisation One Earth – One Ocean. Von dem Erlös soll ein kleines Müllsammelschiff, der sogenannte Seehamster, angeschafft werden. Dieses wird dann in Kambodscha eingesetzt, um dort die zugemüllten Flüsse von Plastikabfall zu befreien.

Die Route von Andreas und Markus.

Auf ihrer Tour erwarten Andreas und Markus grandiose Naturerlebnisse aber auch inspirierende Begegnungen mit den Menschen vor Ort. Im Anschluss sollen über die Reise auch ein Kinofilm und ein Buch entstehen. Vor allem aber soll die Big-Biking-Cleanup-Aktion zu mehr Achtsamkeit für den Planeten beitragen und auf die maritime Müllbeseitigung in den Fokus rücken.

Denn leider ist es um unsere Meere nicht gut bestellt:

  • Geschätzte 150 Millionen Tonnen Plastik befinden sich bereits in unseren Weltmeeren.
  • Jedes Jahr gelangen mehr als 10 Millionen Tonnen hinzu.
  • Bis zu 80 Prozent des Meeresmülls haben ihren Ursprung an Land, etwa drei Viertel davon sind aus Plastik.
  • UN-Studien zufolge sollen bis zum Jahr 2050 mehr Plastikteile als Fische in unseren Meeren schwimmen.
  • Plastikmüll hat eine Lebensdauer von über 450 Jahren und gelangt letztlich als Mikroplastik in unsere Nahrungskette.

Quelle: OEOO

Den Fortschritt ihrer Tour dokumentieren Andreas und Markus regelmäßig auf ihrem Blog, Instagram & Youtube und hier im Globetrotter Blog.


Update 1 – Letzte Vorbereitungen

Big Biking Cleanup

Die letzte Woche bis zum Start unserer Umwelt- und Spendentour ist angebrochen. Am 14. April um 10 Uhr geht es direkt bei der Hamburger Globetrotter Filiale los und wir sind aufgeregt bis in die Haarspitzen und packen unser letztes Equipment zusammen.

Mein Reisepartner und Freund Andreas Winkelmann sendet mir stündlich Updates, wo er sich in seinen Vorbereitungen gerade befindet. In dieser Sekunde erhalte ich die Information, dass das Gewicht seiner Ausrüstung 50 kg beträgt. Ich werde mit nicht viel weniger auskommen. Dabei habe ich mein Equipment noch gar nicht wiegen können, denn es fehlen mir noch die letzten Teile. Meine Packtaschen sind auch noch nicht eingetroffen aber unsere UnterstützerInnen haben mir zugesagt, das alles rechtzeitig bei mir eintrudeln soll.

Weder Andreas noch ich haben jemals so eine weite und lange Outdoor-Tour unternommen. Das ist Neuland für uns. Auch die Social-Media-Kommunikation, die wir jeden Tag erfüllen müssen, um unsere Spendenaktion anständig zu bewerben, ist etwas, dass wir bisher auf keiner Reise managen mussten. Ganz zu schweigen von unserem Video- & Audioequipment, damit wir am Ende unseres Projektes einen Dokumentarfilm zusammenschneiden können.

Die nächsten Tage sind gefüllt mit einem Werkstattbesuch für die Cargo-Bikes, damit auch ja keine Speiche verzogen ist und die Schaltung perfekt funktioniert. Ein »Tisch«, der als Plattform für den gesammelten Plastikmüll dient, muss auch noch montiert werden. Und die Solaranlage, die Strom für Handy, Laptop oder Kamera produziert, wartet auch noch darauf einmal ausprobiert zu werden – ganz abgesehen von den drei verschiedenen Kamera-Modellen, die wir mit uns führen.

Wir fiebern auf unser Abfahrtsdatum hin, denn im Moment ist jeder Tag damit gefüllt, dass wir unzählige Mails schreiben und beantworten, um unseren Sponsor:innen, Unterstützer:innen, Partner:innen und Freund:innen mitzuteilen, wo und wie weit wir mit der Organisation unseres Projektes gerade vorangekommen sind. Wenn wir erst einmal losgefahren sind, dann zählt nur noch das, was wir an jedem einzelnen Tag erleben und leisten. Fast sechs Monate Vorbereitungszeit sind ins Land geflossen. Das Ergebnis dieser Arbeit zeigt sich am besten auf unserer Webseite.

Der Krieg in der Ukraine hat uns kurzzeitig daran zweifeln lassen, ob für so ein Umweltprojekt jetzt der richtige Zeitpunkt ist. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort, jedoch glauben wir, dass sich Menschlichkeit auch darin zeigt, wie wir mit unserem Planeten umgehen und dass diese Botschaft gerade in solch grausamen Zeiten ihre Berechtigung behält.

Ganz liebe Grüße von den Bike-Brothers Andreas und Markus


Update 2

Ich schreibe diese Zeilen auf einem pittoresken Friedhof in der kleinen finnischen Stadt Kirkkonummi, die etwa 30 Kilometer westlich von Helsinki liegt. Die Sonne scheint und ich habe mich im Schatten der alten Friedhofsmauer niedergelassen. Von meinem Campingstuhl aus behalte ich den Fahrradakku im Auge, der an einer Außensteckdose vor sich hin lädt. Mit dem nahenden Aufbruch kommt mir der Gedanke, dass es verdammt schade ist, Finnland heute Nacht Richtung Estland zu verlassen.

Die Finnen waren in den letzten 14 Tagen, das mit Abstand aufgeschlossenste und freundlichste skandinavische Volk. Als großer Fan der Filme von Aki Kaurismäki hatte ich ein völlig anderes Bild von ihnen. Da sieht man wieder einmal, wie viele Vorurteile man so mit sich rumschleppt. In meiner Vorstellung war der gemeine Finne oder die gemeine Finnin introvertiert, verschlossen, melancholisch, trank gerne mal ein Glas zu viel und stand immer kurz vor einer Depression. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Extrem herzlich, aufgeschlossen, interessiert und wahnsinnig gastfreundlich. Jeden Tag wurden wir mindestens einmal auf unser Projekt, unsere Fahrräder oder auf den Müll, den wir vorne auf unserem »Kofferraumdeckel« transportierten, angesprochen. So etwas war uns in Dänemark, Norwegen oder Schweden fast nie passiert.

Pleiten, Pech und Pannen?

Seit wir am 14. April 2022 von der Globetrotter Zentrale in Hamburg losgefahren sind, sind zwei aufregende Monate ins Land gegangen. Mit Pleiten, Pech und Pannen, aber auch mit grandiosen Landschaften, extremen Wetterbedingungen und vor allem immer wieder mit Begegnungen von interessanten und spannenden, liebenswerten Menschen. Zum Teil waren das Fahrradreisende wie wir, aber auch Campingplatzbesitzer, Campingplatzbesucher und viele Einheimische entlang des Weges.

Zwischenstand Big Biking Cleanup – 10. Juni: 5000 Euro, 94 Kilo Plastikmüll, 4419 Kilometer, fünf Länder.

Heute ist der 10. Juni und wir haben für unser Umwelt- und Spendensammelprojekt Big Biking Cleanup bisher fast 5000 Euro eingenommen, 94 Kilo Plastikmüll aus der Natur entfernt und entsorgt und sind 4419 Kilometer mit unseren 80 Kilo schweren Cargo-Bikes durch fünf Länder geradelt.

Die Sand- und die Gravelpisten in Dänemark hatten unseren Ketten so zugesetzt, das wir sie im norwegischen Stavanger – nach nur 1000 Kilometern – austauschen mussten. Das sollte aber nicht unser einziges Problem mit den Bikes bleiben. Meine Ständerkonstruktion hielt der schweren Beladung leider nicht stand. Im Rhythmus von drei Tagen musste ich immer wieder das Rad auf den Kopf stellen und die Schrauben nachziehen. Irgendwann waren sie natürlich durchgedreht und der Ständer für die Tonne.

Zum Glück fanden wir in Trondheim den vielleicht besten Fahrradshop Norwegens. Deren Besitzer – Domenika und Micha aus Polen – standen uns mir Rat und Tat zur Seite. Andreas’ Freilauf, der seit zwei Wochen furchterregende Geräusche von sich gab, wurde ausgetauscht. Verrückterweise stellte sich heraus, dass ihm nur eine Portion Schmierfett fehlte. Da hatte der Motorenhersteller bei der Auslieferung wohl einen schlechten Tag gehabt. Netterweise hatte uns Jap Kellner gleich auch eine neue Kette und eine Zehner-Zahnradkassette nach Trondheim geschickt. Mein Fahrradständer bekam eine Radikalkur, es wurden vier neue Löcher in den Rahmen gebohrt, eine neue Schelle, neue Schrauben mit Muttern verkontert und das Teil hält bis heute.

Regen, Schnee, Graupelschauer, Wind und Temperaturen von null bis fünf Grad ließen nicht wirklich Freude beim Radfahren aufkommen.

Ab diesem Zeitpunkt lief mit den Bikes alles wie am Schnürchen, dafür war das Wetter gegen uns. Die ersten 14 Tage hatten wir nur Sonnenschein gehabt, aber in dem Moment, als wir norwegischen Boden betraten, änderte sich das schlagartig. Regen, Schnee, Graupelschauer, Wind und Temperaturen von null bis fünf Grad ließen nicht wirklich Freude beim Radfahren aufkommen. Am Ende hatten wir in Trondheim gar keine andere Möglichkeit, als Norwegen und die Atlantikküste so schnell wie möglich gegen Schweden und die Ostsee einzutauschen.

Dort angekommen, sah für uns die Landschaft entlang der Küste in den 14 Tagen immer gleich aus. Undurchdringliche Kiefernwälder rechts und links der Straße und leider auch sehr viel Müll. Nicht nur in den Straßengräben, nein auch in den Gärten der Leute. Alte Autos, Schrott in jeder Form und aus jeder Kategorie. Das alles hatte schon einen recht anarchistischen Vibe – hier macht scheinbar jeder, was er will. Das hat zwar was für sich, doch der rücksichtslose Umgang mit der Natur hat uns ziemlich schockiert.

Ganz anders dann unser Eindruck von Finnland: Hier scheinen die Menschen mit viel mehr Respekt auf ihre Natur zu schauen. Viel weniger Plastikmüll entlang der Straßen und auch die eigenen Grundstücke werden mit viel Liebe gepflegt. Von den tollen Menschen habe ich ja eingangs schon geschwärmt.

Wenn schon allein, dann richtig!

Seit etwa einer Woche bin ich nun solo unterwegs. Ich hatte seit zehn Tagen eine Menge Probleme mit dem Fahrrad. Erst ist eine Speiche vom Hinterrad genau an der Stelle, an der sie mit dem Elektromotor verbunden ist, herausgebrochen. Nach telefonischer Rücksprache mit Velo-Lab in Bremen gab es nur die Möglichkeit, mir ein komplettes neues Hinterrad samt Motor aus Deutschland schicken zu lassen. Das Paket kam allerdings nie im finnischen Turku an, sondern wurde zum Absender zurückgeschickt. Um die Sache noch komplizierter zu machen, gab dann auch noch die Bike-Elektronik ihren Geist auf. Andreas, der nun viel schneller als ich unterwegs war, ist dann schon einmal in seinem Tempo vorgefahren. Im Hauptberuf ist er ein erfolgreicher Thriller-Schriftsteller und die Veröffentlichung seines neuesten Romans »Das Letzte, was du hörst« ist für den 14. Juni festgesetzt. Natürlich muss er auch für die Buchpremiere Termine einhalten.

So ist jetzt jeder für sich unterwegs und bespielt den gemeinsamen Instagramkanal von verschieden Orten aus, um die Spendenaktion für unser Müllsammelschiff, den SeeHamster, am Ende zu einem Erfolg werden zu lassen.

Mittlerweile ist ein kleines Wunder geschehen und ein finnischer Fahrradmechaniker Namens Eino hat mir ein Loch in die Aluminium-Motor-Speichenbefestigung gebohrt, die Acht und das Ei aus dem Hinterrad entfernt, eine neue Speiche eingefügt und dann alles wieder eingebaut. Was soll ich sagen? Seit drei Tagen läuft die schwere Cargokiste wieder.

Aus der Not habe ich eine Tugend gemacht und nutze das Alleinsein dazu, ab jetzt nicht mehr auf Campingplätze zu gehen. Ich lade meinen Akku tagsüber an öffentlichen Plätzen wie Märkten oder eben Friedhöfen. Die Einheimischen erlauben es mir ohne Probleme und so kann ich mir nachts endlich Plätze zum Wildcampen suchen. Das war eigentlich von Anfang an unser Plan. Doch viel zu schnell hatten wir uns an die Sicherheit, die warmen Duschen und die wettergeschützten Kochstellen auf den Campingplätzen gewöhnt. Jetzt ist aber endlich Sommer und ich will raus in die Natur. Wenn schon allein, dann richtig!


Abschluss zum Big-Biking-Cleanup

95 Tage unterwegs, 7236 km geradelt, 129 kg Plastik-Müll gesammelt, 6653,- Euro an Spenden eingenommen

Seit drei Wochen bin ich wieder zuhause. Das Wiedersehen mit meiner Familie war tränenreich und gerade in den letzten Tagen der Fahrradtour überfällig und sehnlichst herbeigewünscht. Solange ein Ziel in nicht greifbarer Entfernung liegt, lebt man von Tag zu Tag, aber wenn man dann plötzlich realisiert, dass Frau und Kind nur noch 250 km entfernt sind, zieht es einen, wie einen Magnet dort hin und man kann die räumliche Trennung kaum aushalten.

Als ich mich in Hamburg auf die Waage stelle, kann ich es nicht glauben. Ich habe 10 kg abgenommen. Die physische und psychische Belastung der Tour kann man meinem Körper ansehen. Mit 18 Jahren habe ich es zum letzten Mal auf 73 kg gebracht. Gerade die letzten vier Wochen der Big-Biking-Cleanup-Tour hatten es noch einmal in sich:

In Estland, was ich jedem Fahrradfernreisenden, als 1A Destination, nur sehr ans Herz legen kann, meldet sich mein Vorderrad mit unangenehmen Schleif-Geräuschen bei mir. Ich befinde mich Mitten im nirgendwo, auf einer Schotterpiste. Ein Blick genügt: die Vorderradgabel ist auf beiden Seiten, direkt da wo ihre Schweißnähte verlaufen, gebrochen.

Vor drei Wochen in Schweden war ich bei einer kleinen Abfahrt mit dem Vorderrad gegen ein Hindernis geknallt und hatte eine Vollbremsung mit anschließendem Salto vorwärts über die Lenkstange hingelegt. Dieser Crash hat wohl doch Spuren im Material hinterlassen. Ich nehme an, dass da schon kleine Haarrisse in den Schweißnähten entstanden sind, die nun zum Bruch der Gabel geführt haben.

Ich schiebe mein Lastenrad drei Kilometer zurück zu einem Dorf, spreche am einzigen Tante-Emma-Laden den erstbesten Menschen an, der mir über den Weg läuft. Alexandr, ein Este mit russischer Wurzel. Er verspricht mir sich um mein Problem zu kümmern und nur einen Tag später verlasse ich die Werfthalle in Haapsalu mit einer frisch geschweißten Gabel.

In einer beispiellosen Hilfsaktion hat er einen Anhänger organisiert, mein Fahrrad und mich „aufgeladen“, uns ins 15 km entfernte Haapsalu gebracht, mir einen Campingplatz besorgt und seinen Kumpel Enno darüber informiert, dass wir ihn am nächsten Morgen im Hafen besuchen werden und er mir dann an seinem Arbeitsplatz in einer Werfthalle die Edelstahlgabe schweißt. Was ich hier im Zeitraffer schildere ist die berühmte „Kindness of Strangers“, die so viel mehr ist, als nur Gastfreunlichkeit.

In den nächsten Wochen der Reise werde ich das auch bei gebrochener Hinterradspeiche Nr. 4 und 5. und dem Komplettumbau meines Lastenfahrrads von elektrifiziert auf motorlos, erleben dürfen. Murphys Law hat mich während der gesamten Reise begleitet und wird immer wieder von der “Kindness of Strangers“ abgefedert.

Die Begegnungen mit Dänen, Ukrainern, Norwegern, Schweden, Finnen, Esten, Russen, Letten, Litauern, Polen, Holländern, Südafrikanern, Thailändern, Iren, Schweizern, Franzosen und Deutschen aller Geschlechter und jeglichem Alter, waren das größte Geschenk auf der Big-Biking-Cleanup-Tour.

Ich bin felsenfest davon überzeugt das mich diese Welle der gelebten Menschlichkeit, durch die tiefen Täler der Tour getragen hat und seien wir ehrlich. Wer erinnert schon den perfekten Tag mit Sonnenschein, Rückenwind auf einem makellosen Fahrradweg? – Niemand! – Aber der Tag in Litauen, an der Grenze zu Kaliningrad, als mich Hunde auf einer staubigen Schotterpiste, welche nur aus gruseligen Querfugen bestand, verfolgt, angegriffen und gejagt haben. Diesen Tag werde ich mein Leben lang nicht vergessen. Gerade weil ich mich dort vor lauter Panik heiser gebrüllt habe.

Solche Momente sind das eigentliche Salz in der: Ich-mach–mich-auf-die-Reise-Suppe. Man denkt, schlimmer kann es doch nicht mehr werden und schon steckt man im nächsten Schlamassel. Die wichtige Botschaft die hinter diesen ganzen Pleiten, Pech und Pannen Momenten liegt ist folgende:

Es gibt immer eine Lösung – ich kenne sie nur noch nicht!

Und wenn einem diese Wahrheit einmal widerfahren ist, dann kann einen wirklich nichts mehr stoppen. Deshalb habe ich in keiner Sekunde von meiner Tour daran gedacht aufzugeben.

Im Kontrast dazu bricht mein ehemaliger „Bike-Brother“ Andreas, nach der Trennung in Finnland, die zuvor geplante Route über die Baltischen Staaten ab, nimmt die Fähre nach Schweden, verabschiedet sich in den nächsten Wochen, sowohl vom Spenden- und Plastiksammeln als auch von mir als Freund. Diese Wendung hätte ich mir zu Beginn unserer Tour niemals vorstellen können, reihte sich aber ein, in die lange Liste der nicht zu kalkulierenden Ereignisse.  Wenn man erst einmal seine Komfortzone verlässt, dann liegt da auch immer das Risiko drin etwas zu erleben auf das man im ersten Moment keine Antwort kennt. Auf der anderen Seite bringt es einen definitiv weiter im Leben und hilft neuen Wege zu gehen.

Bis zum Erreichen der anvisierten Spendensumme von 20.000 Euro, ist es auch noch ein weiter Weg, aber auch hier möchte ich nicht aufgeben und in den kommenden Monaten für One Earth One Ocean e.V und dem SeeHamster weiter machen.

Wenn man 95 Tage lang Plastikmüll entlang des Weges gesammelt hat, dann hört man nicht einfach auf damit, nur weil man jetzt wieder zuhause ist.

Ich bedanke mich bei meinen Unterstützern und Partnern, die das Big-Biking-Cleanup-Projekt erst möglich gemacht haben und hoffe das es nicht meine letzte Aktion in dieser Richtung war.

Neben den Begegnungen mit den Menschen brannte sich bei mir nicht der Kampf mit dem Winterwetter in Norwegen und Schweden, die steilen Anstiege, über die ich mein 75 kg schweres E-Cargo-Bike wuchten musste und auch nicht der Verzicht auf ein festes Dach über den Kopf ein. Nein, es war die Erkenntnis wie wenig man eigentlich braucht, um glücklich und zufrieden zu sein.

Von meinen 50 kg Start-Gepäck, habe ich mich am Ende von 30 kg verabschiedet. Die Feststellung, dass man nur eine warme Jacke braucht und diese nachts auch als Kopfkissen benutzen kann, ein Paar Sandalen, die einzigen Schuhe sind, die man benötigt um 1500 km ohne elektrische Unterstützung zu bewältigen, das werde ich für mein neues Selbstverständnis und Selbstbewusstsein für zukünftige Touren mitnehmen.

Man braucht viel weniger Ausrüstung als man denkt und genießt dadurch nicht nur eine viel größere Freiheit, sondern man gibt den verbliebenen Gegenständen auch eine viel größere Wertigkeit.

Da entsteht ein echtes Liebesverhältnis zu unbelebten Gegenständen und das ist Ressourcen schonender als eine riesige Auswahl an Equipment mit sich herumzuschleppen, die zwar nachhaltig produziert wurde, aber gar nicht benötigt wird.

Aber wir wollen auch hier wirklich ehrlich sein:

Mein einziges Luxusteil, von dem ich mich auch gegen Ende der Tour nicht trennen wollte, war der kleine, zusammenklappbare Campingstuhl. Wenn andere Radreisende sich auf ein Handtuch oder direkt auf die noch feuchte Wiese setzen mussten, konnte ich mich wohlig in meinen geliebten Faltstuhl hocken. Auch jetzt während ich im heimischen Garten diese Zeilen in mein MacBook schreibe, dient er mir als Sitzgelegenheit.

Ich habe einmal gelesen, dass alle kriegerischen Handlungen in der Menschheitsgeschichte erst in dem Moment begannen, in dem wir sesshaft wurden. Plötzlich gab es Streit um das Haus, das Grundstück, den Acker, den Besitz, den man angehäuft hat.

Wenn man auf der Durchreise ist, fällt das alles weg. Ein „Fahrradnormade“ erzeugt keinen Neid beim Rest der Menschheit, höchstens Neugierde und Interesse. Vielleicht ist das auch einer der Gründe, warum mir zu 99% nur Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Sympathie entgegengebracht wurde. Einen Zustand, den ich sehr genossen habe und bald wieder erreichen möchte

… Nach einer Reise ist immer auch vor einer Reise …

BBC 2022

Markus Knüfken