Experteninterview: Rucksack

Rucksackkauf ist wie Schuhkauf: Das Teil muss passen, sonst wird die Tour zur Tortur. Fachberater Kilian Gsottberger hilft beim Einkreisen geeigneter Kandidaten.

Michael Neumann
Rucksackkauf ist wie Schuhkauf: Das Teil muss passen, sonst wird die Tour zur Tortur. Fachberater Kilian Gsottberger hilft beim Einkreisen geeigneter Kandidaten.

Kilian, wie viele Rucksäcke brauch­e ich für ein erfülltes Outdoorer-Leben?

So drei bis vier. Einen Daypack für den Alltag, einen Tourenrucksack für Hüttenwanderungen, einen Trekkingrucksack und eventuell noch den sportlichen Bruder vom Daypack zum Biken und Hiken.

Und den einen Allround-Rucksack für den West-Coast-Trail und die Watzmann-Überschreitung gibt es nicht?

Leider nein, dieses Anforderungsprofil ist ohne große Kompromisse nicht zu erfüllen. Ein Trekkingrucksack ist für kurze Wanderungen zu groß, schwer und sperrig, mit einem Daypack hingegen könntest du aus Platz- und Gewichts­gründen keinesfalls das Gepäck für eine Mehrtagestour transpor­tieren. Vom mangelnden Komfort mal ganz zu schweigen.

Das klingt kompliziert. Wie gehe ich die Suche am besten an?

Zuerst solltest du dir überlegen, für welche Unternehmungen und Destinationen du den Rucksack brauchst. Drei Wochen Sarek oder ein Wochenende Lüneburger Heide? Wenn das Einsatzgebiet klar ist, kann ich dir sage­n, ob du einen Trekking­rucksack, Tourenrucksack oder Tagesrucksack brauchst. Innerhalb diese­­r Kate­gorien wird dann versucht, durch die Wahl der pasenden Mark­­e und des richtigen Modell­­s möglichst viele Deckungs­bereiche mit deinem Anforderungsprofil zu erzielen.

Was ist der Unterschied zwischen den einzelnen Rucksacktypen?

Trekkingrucksäcke sind robust, großvolumig, und haben ein Tragesystem mit Innen­gestell für die Lastübertragung. Ein Tourenrucksack ist vielseitiger einsetzbar. Er bietet bei mittlerem Fassungsvermögen genug Stauraum für bequeme Touren über ein Wochen­ende oder mehrere Tagen hinweg. Manche Modelle sind für spezielle Zwecke ausgelegt, etwa für hoch­alpine Hüttentouren, Kletter- oder Skitouren. Ein Tagesrucksack ist nicht ausschließlich für den Outdoor-Sport geeignet. Vielmehr kannst du diesen dank seiner kompakten Form für nahezu jedes Vorhaben einsetzen: zur Arbeit, zur Schule oder Uni, für eine Shoppingtour oder einen Ausflug ins Grüne. Daypacks biete­n Platz für das Nötigste, habe­­n oft ein spezielles Laptopfach, Platz für Aktenordner und kommen meist ohne ein komplexes Trage­system aus. Zwischen Daypac­­k und Tourenrucksack rangiert noch der Multisport­rucksack. Meist zum Biken kon­­­­­­­zipiert, eignet er sich ebenso für sportliche Tageswanderungen und den Klettersteig.

Wiebke Mörig Wichtig bei der Anprobe: Hüftgurt schöööön hoch.

Kann man die Unterschiede auch an Zahlen festmachen?

Nun, Trekkingrucksäcke haben ein Volumen von 50 bis 90 Liter­­n und sind für den Transport von bis zu 25 Kilogramm ausgelegt. Touren­rucksäcke haben meist 30 bis 50 Liter Volumen und sollten nicht mit mehr als 15 Kilogramm belade­­n werden. Daypacks und Multi­­sport­rucksäcke gibt es von 10 bis 30 Liter­­­n und für fünf bis zehn Kilo Traglast.

Und wie weiter bei der Auswahl?

Wie viel Ge­­­­­päc­­k wilsst du mitnehmen? Da­raus lässt sich das rich­tige Volumen ableiten. Übrig bleiben dann meist drei bis vier Modelle aus unserem Sortiment, die es dann aufzuprobieren gilt. Rucksäcke sind wie Schuhe: Entweder sie passen, oder eben nicht. Trekking- und Tourenrucksäcke sind so konzipiert, dass das Innengestell die Last auf Becken, Rücke­n und Schultern verteilt, wobei der Becken­knochen den Löwenanteil trägt. Das klappt nur, wenn der Rucksack gut sitzt, richtig eingestellt ist und das Trage­system zum Rücke­­n passt.

Kann man schon im Laden herausfinden, ob ein Rucksack wirklich passt?

Ja. Durch eine längere Anprobe mit realistischem Tourengewicht und Herumlaufen unter der Anleitung eines Fachberaters bei uns in den Filialen. 

Stichwort Rücken­länge. Wieso ist die so wichtig?

Die Rückenlänge liefert einen groben Anhalts­punkt bei der Auswahl der poten­ziellen Kandidaten. Sie wird von der seit­lichen Oberkante des Beckenknochens bis zum Halswirbel C7, der etwas vorsteht, wenn man sich vorbeugt, gemessen. Als grob­e Orien­tierung ist dieser Wert nützlich, mehr aber auch nicht. 

Wie finde ich also die richtige Rückenlänge?

Durch anprobieren. Viele Hersteller fertigen dasselbe Modell in verschiedenen Rückenlängen – da findet sich fast immer die passende Größe. Andere bieten verstellbare Systeme an, die vor allem für Jugendliche Sinn machen, die noch wachsen, oder wenn sich zwei Personen mit unter­schiedlich langen Rücken den Rucksack teilen wollen. 

Gibt es spezielle Männer- und Frauenmodelle?

Aber klar doch! Frauenrucksäcke haben in der  Regel kürzere Rückenlängen und speziell geformt­­e Po­l­ste­­­­­­­­­­r und Gurte: Der Hüftgurt  umschließt das Becken eher von oben, und die Brust­gurte verlaufen s-förmig seitlich am Brustkorb vorbei. Ich habe aber auch schon Männe­­­r als Kunden hier gehabt, denen ein Frauenrucksack besser gepasst hat – und umgekehrt.

Michael Neumann Kilian zeigt, wie man einen Rucksack ohne Bandscheiben­vorfall aufsetzt.

Wie wichtig ist die Ausstattung?

Das hängt stark von den Vorlieben des Kunde­­n ab. Die Minimalisten wollen zwei Riemen für die Isomatte, vielleicht noch eine Flaschenhalterung und bloß kein verstellbares Deckelfach – fertig. Andere wünsche­­n möglichst viele Befestigungs­­­­­­­-mög­lichkeiten und kleine Außentaschen. Ich per­­sönlich finde drei Dinge wirklich wichtig: ein geräumiges, in der Höhe verstellbares Deckelfach, eine Vorbereitung für Trink­systeme und eine­n zusätzlichen separaten Zugriff – sei es am Bode­n, seitlich oder zentral. Letzteres erspar­­t einem jeden Abend das komplette Auspacken des Rucksacks, um an Zelt und Schlafsack heran­zukommen.

Was tun, damit meine Ausrüstung im Rucksack nicht nass wird?

Es gibt komplett wasserdichte Rucksäcke wie den Ortlieb Atrack. Allerdings sind dies­e durch das dicke Material und die auf­­­wen­digere Bauweise oft schwerer und teurer. Für lange Wanderungen, wo jedes Gramm zählt, eignet sich besser eine Regenhülle. Bei manchen Modellen ist sie integriert, sonst kauft man sie als Zubehör in der passenden Größ­e. Empfind­liches Gepäck wie Schlaf­sack und Elektronik sollte man im Rucksack trotzdem noch mal in leichten Trocken­säcken verstauen.

Gibt es beim Material Unterschiede zwischen den Herstellern?

Im Trekkingbereich wird bei unseren Modelle­­n meist ein Nylon als Oberstoff verwende­­t. Viele Hersteller verwenden ein sehr robustes Cordura-Nylongewebe und verstärken be­sonder­­s beanspruchte Bereiche wie den Bode­­n mit einem noch stärkeren Material. Das macht den Rucksack nicht leichter, aber robuster. 

Ist die Rucksackfarbe in irgendeiner Form relevant?

Das ist natürlich Geschmackssache. Dezente Farben lassen einen mit der Natur verschmelzen und locken etwaige Taschendiebe nicht gleich in Scharen an. Rot, Blau und Gelb dagegen bringen Farbe ins Leben, helfen im Notfall bei der Ortung des Trägers und mache­­n sich auf Fotos gut. 

Rucksackkauf erfordert Weitsicht, denn ein gutes Modell hält gut und gern 15 Jahre.

Wie transportiere ich einen Rucksack auf Flugreisen?

Das Tragesystem mit seinen Schlaufen und Gurten neigt auf automatisierten Förder­bändern zum Hängenbleiben und man wäre nicht der erste Globetrotter, der aus diesem Grund am Zielort ohne Rucksack ankommt. Ihn vor dem Abflug in meterweise Plastikfolie einzuwickeln, wie es in arabischen Ländern und in Südamerika gern praktiziert wird, ist auch wenig nachhaltig. Besser, man hat einen Cargobag dabei, der den Rucksack zur Gänze aufnimmt und rundum schützt. Die besonders pfiffigen Modelle wie der Flight Bag von Fjällräven sind zugleich Regen­hülle und wiegen kaum mehr als 300 Gramm.

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Kommen wir zu den Tourenrucksäcken. Wo liegen da die Unterschiede? 

Wichtig sind die verschiedenen Trage­systeme und die Ausstattung. Weil man Touren­rucksäcke oft nicht so schwer bepackt, kommen sie meist ohne ein massive­­s Innengestell aus. Es gibt Modelle wie den Deuter Futura mit einem Netz­­rücken und andere wie den Lowe Alpine Cholatse 35 mit einem am Rücken anliegenden Trage­system. Beide Systeme haben ihre Vor- und Nachteile …

Als da wären?

Beim Netzrücken liegt der Fokus auf einer guten Belüftung: Das Hauptfach ist durch ein Gestänge gewölbt. So liegt statt des Packsacks nur das Netz am Rücken an und die Luft kann besser zirkulieren. Nachteil: Das Packen wird durch die Wölbung mühselig und das Gewicht ist weiter vom Körper entfernt. Das ist auf Bergtouren oder Kletter­steigen, wo es auf gutes Gleichgewicht ankommt, mitunter von Nachteil.

Bei der klassischen Variante hat der Träger mehr Lastenkontrolle und das Packen gestalte­­t sich angenehmer. Das daraus resultierende Mehr an Schweiß ist dank schnelltrocknender Funktionsunterwäsche heute auch nur noch halb so wild.

Welche Ausstattungsmerkmale zählen beim Tourenrucksack?

Bei einem normalen Tourenrucksack finde ich persönlich eine Befestigungsmöglichkeit für Wanderstöcke und ein gut erreichbares Seitenfach für eine zusätzliche Trinkflasche oder die Sonnenbrille wichtig. Will man mit dem Rucksack auch auf Klettersteige oder Hochtouren gehen, sollte er zusätzlich Befestigungs­möglichkeiten für Helm und Pickel bieten.

Ist ein Trink­system unverzichtbar oder Schnickschnack?

Ersteres. Allerdings gibt es viele Kunden, die das Befüllen und die Reinigung einer Trinkblase lästig finden und deshalb lieber auf die klassische Trinkflasche zurückgreifen. Es hängt also auch hier wieder von den Vor­lieben des Kunden ab. Allerdings trinkt man mit Trinkblase tendenziell einfach mehr, ist dadurch besser hydriert und leistungs­fähiger. Außerdem erspart einem das Trinksystem, dass man bei Durst jedes Mal den Rucksack absetzen muss. Als nachteilig empfinden viele, dass der Füllstand der Blas­e, die aufgrund der besseren Balance oft mittig am Rücken im Packsack aufbewahrt wird, nicht einsehbar ist.  

Und wie unterscheiden sich nun Daypacks von Multisportrucksäcken?

Es gibt sehr technische Tagesrucksäcke wie den Jack Wolfskin Moab Jam oder den Osprey Talon 11, denen man ihre Funktionalität und ihre sportliche Ausrichtung auf den ersten Blick ansieht. Daypacks sind dagege­­n oft bewusst schlicht gehalten und fürs Pendeln in Schule, Uni oder Arbeit wie gemacht.

Welche Features sollte ein funktionales Modell mitbringen?

Wenn der Rucksack in erster Linie für Tages­wanderungen genutzt wird, sollte man auf das Gewicht und auf das Vorhandensein eines leichten Tragesystems achten. Denn auch wenn man nur einen Tag lang unterwegs ist, kann ein zu schwerer, schlecht sitzender Rucksack auf Dauer echt unan­genehm werden. Weitere nützliche Features sind Helm- und Stockhalterung, eine Tasche für Wertsachen an der Hüftflosse, ein gefüttertes Fach für die Sonnenbrille und vielleicht noch ein Außennetz zur Befestigung der Regenjacke. Wichtig ist, dass ich in dem Daypack platztechnisch alles unterbe­komme, was ich bei einer Tageswanderung brauche: Regenjacke, Kamera, Verpflegung und so weiter.

Michael Neumann

Nach so viel Technik: Darf ich beim Daypack für den Alltag nun endlich mal nur nach der Optik gehen?

Prinzipiell schon. Ein gutes Beispiel dafür ist der legendäre Kånken von Fjällräven: Der kommt ohne viel Funktion aus, ist dafür aber in vielen knalligen Farben und Vari­anten erhältlich und besticht durch den stylischen Retrolook – das macht ihn zum beliebten Alltagspack. Aktuell gibt es ihn sogar in einer streng limitierten Serie namen­­s Kånken Art – für noch mehr Farbe in deinem Alltag. 

Wie hältst du’s mit der Rucksackpflege?

Den Rucksack nie in der Waschmaschine waschen – sofern er da überhaut reinpasst. Die wasserdichte Beschichtung des Sacks könnte Schaden nehmen. Besser in einer  Badewanne mit warmem Wasser spülen und gröberem Batz mit Bürste oder Schwamm zu Leibe rücken. Anschließend dann kühl, schattig und trocken lagern.

Was tun, wenn unterwegs eine Schnalle den Geist aufgibt?

Dann sollte man im Falle der Hüftgurtschnalle besser eine zweite dabei­haben. Ansonsten hilft ein kleiner Spann­riemen aus der Patsche. Brechen kleinere Schnallen, kann man diese leicht durch die univer­sellen Reparaturschnallen von Sea to Summit ersetzen.

Trickkiste auf! Womit fällt das Rucksackleben leichter?

  1. Egal wie perfekt euer Rucksack eingestellt ist, irgendwann drückt es doch. Dann heißt es variieren: mal die Schulterträger etwas anziehen, mal beim Hüftgurt nachlassen. Und wieder zurück. 
  2. In der Grundeinstellung ist es zudem sehr wichtig, dass der Hüftgurt hoch genug auf den Beckenknochen platziert ist. Ich sehe oft Leute, die den Rucksack eher auf dem Hintern tragen. Also bitte immer auf einen korrekten Sitz achten.
  3. Leichte, farblich unterschiedliche Pack­beutel halten den Inhalt trocken und erleichtern die Ordnung sowie das Packen. Mit ihrer glatten Oberfläche flutschen sie nämlich besser in die hintersten Ecken. Zudem sollte man beim Einräumen darauf achten, dass anschließend der Schwerpunkt des Rucksacks maximal körpernah und etwas oberhalb der Hüfte liegt.
  4. Wer beim Packen eine Gepäckwaage zur Hand hat, weiß stets, was es fortan zu wuppen gilt. Und reißt man bei einer Flugreise auch nicht die magische 23-Kilo-Grenze.  
  5. Mein letzter Tipp bringt am meisten und ist zudem am leichtesten und günstigsten umzusetzen: weniger mitnehmen.
Text: Michael Neumann