Stein oder nicht Stein

Ankunftsort und Startpunkt. Sicherer ­Hafen in einem ­Geröll-Ozean aus Gneis und ­Dolomit. Die graubündener Berghütte ist ein ­Sehnsuchtsort für viele, die mit dem Bike oder zu Fuß auf einer Wanderung unterwegs sind. Wir haben uns in ­Graubünden umgeschaut. Ein ­Besuch im Hochgebirge.

Stein und Fels, so weit das Auge reicht. Doch immer ist da dieser eine Ort. Gemütlich, modern, wild, berühmt, malerisch. Die Attri­bute, die die Gäste mit Berghütten in Verbindung bringen, könnten als Auszeichnungen verliehen werden. Die Hütten sind Sehnsuchtsziel. Im Oberengadin reihen sie sich von Berg zu Berg, wie auf einer Perlenkette. Und Perlen sind sie allesamt. Eingebettet in mächtigen Fels, umgeben von urwüchsiger Natur, die seit jeher den Ton angibt, mit all ihrer Schönheit und Gefahr.

Die überwältigende Kraft dieser Natur, die im Hochgebirge wortwörtlich eine gewaltige ist, macht zugleich ihre Faszination aus. Die Beziehung zum Berg, zum Fels, hat die Kultur der Menschen des Oberengadins seit jeher geprägt. In der Begegnung mit den Hüttenwartinnen und -warten kommt man den Geschichten zwischen Tal und Gipfel ganz nah.

Die Berühmte – so wird die Georgy-Hütte gerne tituliert.
Ein perfektes Ziel für alle, die mal wirklich hoch hinaus wollen.

Nur wenige Meter unterhalb des Piz Languard, auf knapp 3200 Höhenmetern, gibt es einen magischen Ort: Die Chamanna Georgy balanciert förmlich auf einem winzigen ­Plateau unterhalb des eigentlichen Gipfels. Umgeben von dunklem Fels, der zwischen Rot und Braun changiert, thront die Hütte hoch oben über dem Tal. Der Blick reicht weit über die gezackten, schroffen Kämme der umliegenden Gebirgsrücken.

Der Maler Wilhelm Georgy kam aus dem fernen Leipzig zum Piz Languard, um das Tierleben der Alpen auf seine Leinwände zu bannen. 150 Jahre später gibt es eine Hütte, die seinen Namen trägt. Die Aussicht vom Gipfel hat bisher noch nichts von ihrem ­Zauber verloren. Kulinarisch gibt es in der Chamanna Georgy ebenfalls Entdeckens­wertes. Das ­junge Hüttenwirt-Paar Céline und Simon probiert immer wieder gerne etwas Neues aus. So kann zum Beispiel auch einmal ein Gemüse-­Curry auf der Karte ­stehen. ­Gekocht wird auf einem ein­fachen Holzofen. Hier oben ist man den Elementen unwahrscheinlich nah.

»Spätestens wenn die dampfende Gersten­suppe serviert wird, wähnt man sich in vergangenen Zeiten. Handy ausschalten und Zeit Zeit sein lassen!«

Der Geruch von selbst gemachter Nuss­torte umweht die sehr viel einfacher zu ­erreichende Chamanna d’Es-cha, oberhalb von Zuoz. Murmeltiere pfeifen und verschwinden wieder in ihren Bauten zwischen den lila, weiß und gelb blühenden Blumen der Bergwiese. Betritt man die Stube – die alte Stüva, wie sie hier genannt wird–, geht man auf knarzenden dunklen Holzbohlen, sitzt unter einer stuckverzierten Decke und ist eingehüllt von purer Gemütlichkeit. Spätestens wenn die dampfende Gersten­suppe serviert wird, wähnt man sich in vergangenen Zeiten. Handy ausschalten. Die Zeit Zeit sein lassen und den Rest der Welt vergessen. Das ist hier ein Leichtes.

Bei aller Ruhe und Gemütlichkeit: Die Chamanna d’Es-cha ist ein Treffpunkt für Sportbegeisterte. Ihre gute Erreichbarkeit lockt zum zum Mountainbiken, Trailrunning und Wandern. Auch Familien können den Weg, etwa zwei Stunden von der Albula­straße, schaffen.

Silvana und Nicola führen die Chamanna d’Es-cha und sind begeistert von ihrem Charme.
Als gelernte Konditorin weiß Silvana, wie man die Gäste kulinarisch verwöhnt.

Zwischen Himmel und Erde

Ganz anders, nämlich wild und abgeschieden, ist der Charakter der Fornohütte. Immer wieder hört man es laut und dunkel krachen, wenn Felsbrocken vom Gletschereis ins Tal geschoben werden. Nach einem anspruchsvollen Anstieg treffen sich hier Gleichge­sinnte. Auf der Suche nach Abgeschiedenheit werden die Wandernden mit einem traumhaften Ausblick über den zweitgrößten Bündner Gletscher belohnt.

Hüttenwart Beat betreut nicht nur dieselbige, sondern auch die Wanderwege. Er ist ständig auf der Suche nach neuen Routen. Gut möglich, dass man ihm mit geschulterter Spitzhacke begegnet. Sein persönlicher Kraftort ist die von ihm kreierte Strecke auf den Monte Rosso. In der kargen Welt aus Fels und Eis können die Gedanken fliegen. Ein Weg als Ziel. Das Gehen, ein Sinnieren über sich und die Welt. Frei nach Shakespeare: »Stein oder nicht Stein. Das ist die Frage.«

Gipfelleben im Engadin

580 km Wanderwege auf rund 100 verschiedenen Routen bietet das Engadin. Von einfachen Tagestouren bis zum sieben Etappen umfassenden Bernina-Trek. Ohne zu übertreiben darf man die Vielzahl an malerischen Berghütten im Engadin rühmen. Überall gibt es traumhafte Aussichten auf berühmte Gipfel, Flora und Fauna. Dennoch hat jede Hütte ihren ganz eigenen Charme. Ob nur wenige Meter unterhalb des Gipfels, vis-à-vis zum Gletscher oder gemütlich, mit stuckverzierter Decke. Im Engadin findet jede und jeder den persönlichen Lieblingsort.