Der Neumacher: Matthias Quast

Reparieren ist das neue Neu – dieser Maxime ist der Berliner Matthias Quast in Beruf wie Freizeit treu.
Manuel Arnu

Die Arbeit ist eigentlich kaum der Rede wert. Matthias Quast setzt die kleine Knopfkappe aus Metall in die Halterung der gusseisernen Presse, richtet sorgsam die Outdoorhose da­runter aus und zieht dann mit einer kräftigen Bewegung den Hebel der Handpresse bis zum Anschlag hinunter, bis der Druckknopf fühlbar nachgibt und fest im Stoff sitzt. Matthias nimmt die Hose aus der Apparatur, überprüft kurz den neuen Hosenknopf und reicht sein Werk über den Tresen des Service-Points dem Kunden zurück. Sitzt, passt und nichts wackelt mehr. Kleine Hilfe mit großer Wirkung: Ein fehlender Knopf an zentraler Stelle entscheidet schnell über Sein oder Nichtsein bei einer Hose. Über eine Zukunft auf Reisen oder im Mülleimer. 

Matthias Quast, 39 Jahre alt, arbeitet seit Oktober 2017 am Servic­e-Point in der Berliner Filiale, davor war er elf Jahre in der Bekleidungsabteilung beschäftigt. Die neue Arbeit macht dem Textilspezialisten sichtlich Spaß. »Ich habe immer noch viel Kundenkontakt und dazu einen sehr abwechslungsreichen Aufgabenbereich«, erklärt Matthias. »Heute habe ich unter anderem schon mehrere Reißverschlüsse repariert, kaputte Schnallen von Rucksäcken ausgetauscht und die Spitzen von Wanderstöcken ersetzt. Wir helfen unseren Kunden, damit sie ihre Produkte noch lange nutzen können.« Das können einfache Do-it-yourself-Anleitungen sein (ein Tipp von Matthias: Kleine Löcher in Isomatten oder Regenjacken lassen sich super mit dem Universalreparatur­kleber Seamgrip abdichten). Kleinere Reparaturen hingegen erledigen die fünf Service-Mitarbeiter gleich vor Ort.

Vieles neu macht der Frühling

»Ein defektes Aus­rüstungsteil muss nicht immer sofort ersetzt werden, vieles lässt sich wieder richten«, rät Matthias. Komplizierte Instandsetzungen wie defekte Zelte, Rucksäcke oder Jacken gehen direkt zu den Herstellern. Vor allem im Frühjahr steigen die Reparaturaufträge an, wenn die Outdoorausrüstung zum Saisonstart aus dem Keller gekramt wird. »Dann bemerken viele Kunden ganz verwundert, dass an ihren heiß­ geliebten Schuhen die Sohlen abfallen und zerbrechen, egal ob das Schuhwerk zwei oder 20 Jahre alt ist«, lacht Matthias. Doch kein Grund zur Sorge, beruhigt der Experte, bei vielen Herstellern sei eine Neubesohlung heute eine Standarddienstleistung, damit ein gut eingetragener Wanderschuh läuft und läuft und läuft …

Archiv Matthias Quast Glücklich mit guter Umweltbilanz – Matthias Quast lebt mit seiner Familie bewusst nicht immer höher, schneller und weiter.

Seit 2003 ist Matthias Quast bei Globetrotter, begonnen hat er in der Schuhabteilung. »Wie etwa die Hälfte der Belegschaft habe ich als studentische Aushilfskraft begonnen und mich sofort wohlgefühlt.« Sein naturwissenschaftliches Studium ließ er sausen, die Diskussionen behielten Campusniveau, bei Matthias gut fundiert mit zehn Semestern in Physik, Geophysik, Chemie und Englisch: »Ich habe hier viele diplomierte Kollegen, aber eben auch Kunden, mit denen ich tiefgründige Gespräche über Politik, Wissenschaft und Umwelt führen kann.« 2005 durchlief er die zweijährige Ausbildung zum Kaufmann im Einzelhandel, um danach in die »Bekleidung« zu wechseln.

Zu seiner eigenen Garderobe hat er eine klare Haltung: möglichst wenig Teile, dafür ein Maximum an Qualität statt Wegwerfmentalität. »Das schont Ressourcen und kommt letztlich Gesellschaft und Umwelt zugute«, findet Matthias. Seine derzeitige Lieblingshose ist die Fjällräven Keb, eine extrem robuste Trekkinghose für alpine Touren, Wanderungen oder den harten Berliner Alltagseinsatz. »Eine krasse Hose, total technisch. Hergestellt aus Biobaumwolle und recyceltem Polyester«, schwärmt Matthias. »Und mit der richtigen Pflege können auch Klamotten schonend alt werden.« Wie sein geliebtes Patagonia Figure 4 Jacket: 13 Jahre alt – ein echter Outdoor-Oldtimer, aber noch lange nicht abgetragen.

Zu Fuß zur Arbeit

Dabei spielt es keine Rolle, wie hochpreisig die Ausrüstung ist – ein sorgsamer Umgang und das richtige Material sind entscheidend. 
»Selbst teure Ausrüstung ist nicht unzerstörbar. Auch eine hochwertige Drei-Lagen-Jacke verschleißt durch Salze, Fette und Schmutz, wenn sie täglich getragen wird«, erklärt Matthias. »Manche nutzen ihre bröselnden Regenjacken noch als Windbreaker. Mir wäre es lieber, sie würden in unserer Recyclingbox landen, anstatt Mikroplastik in der Umwelt zu verteilen«, sagt Matthias und zeigt auf die I:Collect-Box neben der Thek­e des Service-Points. Nach dem Tragen landen weltweit 85 Prozent aller Bekleidung und Schuhe auf Mülldeponien oder werden verbrannt. I:Collect wandelt Müll in Ressourcen um und sorgt für eine Wiederverwertung abgetragener Kleidung. Ein Teil wird als Secondhandmode weitervermarktet, der Rest für Recycling aufgearbeitet. Matthias schnappt sich einen alten, defekten Rucksack, den ein Kunde am Service-Point abgegeben hat, und beginnt das Tragesystem auszuschlachten. Mit einer scharfen Schere schneidet er Schnallen und Gurtbänder ab. »Die bewahren wir auf und geben sie unseren Kunden für Reparaturen mit.«

»Seit 20 Jahren koche ich in einem Camping- Topfset – auf Reisen und auch zu Hause.« 

Archiv Matthias Quast Fernreisen sind für die Quasts nicht nötig,  Abenteuer gibt es auch vor der Haustür genug.

Matthias Quast wohnt zusammen mit seiner Partnerin Stefanie und den Kindern Joris, elf Jahre, und Junia, fünf Jahre alt, in Steglitz, keine sieben Minuten Fußmarsch entfernt von seiner Arbeitsstätte. Auch privat versucht er seine Umweltbilanz zu optimieren. Ein Auto besitzt die Familie Quast nicht, dafür einen großen Fahrrad-Gepäckanhänger, der nicht nur die täglichen Einkäufe transportiert, sondern auch mal Zementsäcke oder zentnerweise Blumenerde. Die Kinder wurden früher in einem Radanhänger befördert, jetzt dürfen sie selber radeln. Auf Fernreisen verzichten die Quasts, für längere Urlaube mieten sie einen Leihwagen. Matthias versucht bewusst, seine Ansprüche herunterzufahren. »Seit 20 Jahren koche ich in einem Camping-Topfset, sowohl auf Reisen als auch zu Hause, das reicht mir.« Die Rechnung scheint für ihn aufzugehen. »Letztlich ist es nicht so wichtig, was andere machen, man sollte selbst mit gutem Beispiel vorangehen. Ich bin jedenfalls zufriedener damit.«

Firmenyoga gegen Stress

Am Service-Point nimmt Matthias ein Päckchen von einer Online-Bestellun­­g der Click&Collect-Station in die Hand. »Ein schöner Servic­e«, erklärt Matthias. »Kunden können online bestellen und bei uns in der Filiale ohne Versandkosten abholen.« Matthias quittiert die Sendung und übergibt das Päckchen dem Kunden.

Neben Online-Be­stellungen, Reparaturen und Recycling wickeln Matthia­­s und seine Kollegen noch alle Reklamationen in der Berliner Filiale ab, ebenso die Retouren, Fehlkäufe sowie die Sonder- und Ersatzteilbestellunge­­n. Vor allem der Umgang mit Reklamationen erfordere viel Fingerspitzen­gefühl und Bedachtheit, bestätigt Matthias. Doch die Arbeit mit enttäuschten und unzufriedenen Kunden sieht Matthias auch als große Chance. »Wenn ich mit meinem Know-how als Bekleidungsexperte überzeugen kann, dass der Reklamationsgrund kein Material- oder Verarbeitungsfehler ist, sondern falsche Nutzung oder Pflege, dann kann man Kunden wieder für sich gewinnen«, ist Matthias sicher. Und woher nimmt Matthias die nötige Ruhe und Gelassenhei­­t für komplizierte Kundengespräche? »Dafür gibt’s das morgendliche Firmenyoga«, lacht Matthias. Dann greift er wieder zu einer reparaturbedürftigen Hose, richtet sie unter der Knopfpresse aus. Und zack! Wieder eine Hose vor dem Mülleimer gerettet.